Hier schreiben Hobbydichter für Lyrik-Freunde – meist Gereimtes und nur Druckreifes! Willkommen also, viel Vergnügen mit unseren Gedichten und deren Bebilderung!

Aufrufe unseres Blogs erfolgen automatisch mit Sicherheitsprotokoll "https". Am 18. Mai 2022 hatten wir unseren 600. Beitrag in den Blog gestellt!

Bereits seit Jahresbeginn bringen wir neue Folgen an Kalenderblättern und Monatsbildern. Darum herum dann das, was sich an Einfällen so ergibt – man wird sehen! Nun ja, was man auch sieht: wir "unterschlagen" seit einer ganzen Weile auch einen gewissen Anteil an sanfter Erotik nicht länger - die Zeiten sind eben so ...

Wir teilen den Lesern unseres Versbildners mit und bitten um Verständnis, dass wir auch weiterhin das monatliche Angebot auf 6 Beiträge beschränken - die Kontaktarmut dieser Zeit bringt leider auch eine gewisse Ideenarmut mit sich. Neueinstellungen erfolgen damit um die Kalendertage des 1., 6., 11., 16./17., 21./22., 25.-27. eines Monats.

Dienstag, 28. August 2018

Total am Boden / Compis schlingern nicht (Kreuzschleifenverse)

In Reihe geparktes Fahrzeug mt dem Abdruck eines Jungmannes
nach nächtlichem "Spaziergang über Berg und Tal". Liz.: gemeinfrei!


Total am Boden
(äußere Kreuzschleifen, vierfüßig-jambisch)

Ich könnte nur so um mich hauen:
man hat mein Auto ganz verbeult,
ich hab wie'n Schlosshund laut geheult –
hab kaum gewagt, es anzuschauen.

Die Augen – tränenflorumhangen,
hab kaum gewagt, es anzuschauen,
ich könnte nur so um mich hauen;
ich muss sogar ums Atmen bangen.

Mir ist da keineswegs zum Lachen:
ich muss sogar ums Atmen bangen;
Die Augen – tränenflorumhangen,
wie nur die Täter dingfest machen?

Ich hab wie'n Schlosshund laut geheult:
wie nur die Täter dingfest machen?
Mir ist da keineswegs zum Lachen –
man hat mein Auto ganz verbeult!


Compis schlingern nicht
(innere Kreuzschleifen, vierfüßig-trochäisch)

Rechnen geht nun ohne Schlingern!
Heute rechnet der Computer –
man ist selber ausgeruhter,
niemand zählt mehr mit zehn Fingern!

Man ist selber ausgeruhter …
Wird man sich dazu bequemen,
nun auch was zu unternehmen?
Heute rechnet der Computer!

Nun auch was zu unternehmen,
zeitig nach dem Rechten schauen,
aufstehn schon im Morgengrauen –
wird man sich dazu bequemen?

Aufstehn schon im Morgengrauen –
Ja, das gilt jetzt als modern!
Keiner macht so etwas gern:
zeitig nach dem Rechten schauen …

Keiner macht so etwas gern:
niemand zählt mehr mit zehn Fingern.
Rechnen geht nun ohne Schlingern!
Ja, das gilt jetzt als modern!

© Wolfgang H./elbwolf
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Zum Gedichtformat:
Gedichte aus Kreuzschleifenversen (mit wenigstens 4 Strophen) kommen wieder in Mode! Rhythmisch bestehen sie aus Jamben, Trochäen oder Daktylen, enden betont oder unbetont, haben 3 - 6 Hebungen im Vers. Langverse mit 5 oder 6 Versfüßen weisen auch Binnenreimung oder mittig Zäsuren auf.
Angeblich darf man in Versen auch Einzelwörter ersetzen oder durch Flexion (Deklination, Konjugation) abändern – was aber eine ziemliche Erleichterung wäre.
Reimerisch sind die Strophen 4-Zeiler mit Umfassungsreimung "abba".
Man unterscheidet zwei Kreuzschleifen-Typen, je nachdem, ob die b- oder die a-Verse der ersten Strophe in der letzten wiederholt und dabei vertauscht werden.
Für die obigen Beispiele gilt:
- äußere Kreuzschleifen (oben, 4 Strophen; b-Verse zum Schluss vertauscht):
a1b1b2a2 / c1a2a1c2 / d1c2c1d2 / b2d2d1b1
- innere Kreuzschleifen (unten, 5 Strophen; a-Verse zum Schluss vertauscht):         
a1b1b2a2 / b2c1c2b1 / c2d1d2c1 / d2e1e2d1 /e2a2a1e1

Samstag, 25. August 2018

Sommerglück

Holzlattenzaun mit Kapuzinerkresse
Foto+©: Walter J.Pilsak, 27.02.2004; via wikimedia.commons; Liz.: CC BY-SA 3.0

Sommerglück

Sommerglück am Gartenzaun, 
gelb und grün und rot und braun. 
Eindrucksvoll ist es geschmückt,
der realen Welt entrückt.
Dort herrscht Dunkel hinterm Zaun,   
kein Gefunkel, nichts zu schaun.

Ist ein Bild mir von zwei Welten,
mögt ihr mich auch darob schelten.

Durchsicht stets im Lebensraum –      
findet Mensch im Leben kaum.
Hell und Dunkel, Hand in Hand, 
hätte einen festen Stand.       
Blicke übern Zaun sind rar –
doch dann sieht manch Auge klar.

© lillii (Luzie-R), 6. August 2018

Dienstag, 21. August 2018

Allerlei Unerwartetes – Klapphornverse (2)

Vilhelm Pedersen (1820-59): Das Schäferstündchen des Schornsteinfegers (1849)
Illustration für ein Märchen von H.Chr. Andersen; via wikimedia.commons; gemeinfrei


Allerlei Unerwartetes
          neue Klapphornverse

(1)
Zwei Knaben hüpfen auf vier Beinen 
und denken, hätten sie noch einen, 
so hüpften sie zu dritt auf sechsen    
und könnten sich mit Ruhm beklecksen. 
(2)
Zwei Knaben sangen Gassenhauer. 
Ein Dieb lag "gassi" auf der Lauer, 
der raubte aus die beiden Knaben, 
die nun nicht einen Hauer haben. 
(3)
Ein Knabe geht zur Schule – täglich; 
mit Lernerfolgen mehr als kläglich.  
"Warum nur", fragt er, "jeden Tag?     
Ich ginge lieber, wann ich mag …"  
(4)
Die Köchin rührt gern süßen Brei,  
doch sprang die Schüssel ihr entzwei – 
was alle ausnahmslos bedauern: 
statt süßen Breis rührt sie jetzt sauren. 
(5)
Der Kaspar mochte keine Suppe.
Gewichtsabnahme war ihm schnuppe, 
doch wurde ihm recht lapidar, 
als nichts mehr abzumagern war.
(6)
Ein Schornsteinfeger kehrt die Esse 
und denkt dabei: Du meine Fresse: 
die haben hier ja so viel Ruß, 
da wird ein Feger ganz konfus!  
(7)
Ein Fan liest über Jahreswagen,  
dass viele den zu leasen wagen; 
und – wie er liest – sind sie seit Jahren,
mit Leasen immer gut gefahren.
(8)
Ein Sparer trug sein Geld zur Banke  
und dachte, s'dauert nicht mehr lange,
dann zahlen sie die hohen Zinsen. 
Der Draghi grinst dazu sein Grinsen. 
(9)
Im Raume flogen gleich zwei Mücken,  
die taten mich gar arg berücken.   
Doch eh sie mich gepiekt noch hatten,  
da hatten sie schon einen Platten.
(10)
Am Berge bringen sie das Rodeln, 
und die Tiroler auch das Jodeln. 
Doch ich im Tale lieb das Trödeln 
und manchmal lyrisch auch zu blödeln. 

elbwolf, August 2018

Freitag, 17. August 2018

André Bretons Poem "L'union libre" – neu übertragen u.d.T. "Freies Bündnis" (statt "Freie Liebe")

Veröffentlicht in der letzten Ausgabe der Zeitschrift La révolution surréaliste am 15. 12. 1929

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André Bretons surrealistisches Poem "L'union libre" von 1931, in [1] enthalten, später eingedeutscht unter dem Titel "Freie Liebe", gehört zur Handvoll der wichtigsten Gedichte des 20. Jahrhunderts.
Darin beschreibt, ja verherrlicht Breton seine (damalige!) Gefährtin Suzanne Muzard mit allen möglichen Metaphern und Anaphern* und verwendet dafür – wie es für ein surrealis­tisches Poem typisch ist – zahlreiche unerwartete Bilder.

Das Poem wurde seinerzeit sofort in verschiedene Sprachen übertragen, nur nicht ins Deutsche. Die Deutschen zogen damals lieber ihre Knobelbecher an, um als künftige Eindringlinge den Marsch über Europas Straßen zu proben. Nach Kriegsende dauerte es dann bis 1960, ehe die heute noch gültige Übertragung [4] erschien. Die lud ich mir herunter und war von der gefühlten Dürftigkeit des Textes betroffen, bis ich einen nach dem anderen wirkliche Fehler aufspürte. Und fand, dass man das auch anders, vielleicht sogar besser bewerkstelligen könnte.

Für den Übersetzer ist das Poem allerdings ein "Hammer" und bietet Kniffliges am laufenden Band. Den Freunden der französischen Sprache kann man es als "extremen Übungsstoff" empfehlen. Diese Neuübertragung wird hier in unserem Blog im zweispaltig-zweisprachlichen Layout mit Unterstützung durch ein Tabellengitter für vergleichendes Lesen geboten (was nur mit Zweiteilung und Einrücken vieler Verse zu machen geht) und nachfolgend zum Teil auch erläutert.
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André Breton (1896 – 1966):

L'union libre (1931)


Neuübertragung unter dem Titel:

Freies Bündnis (2018)

01  Ma femme à la chevelure de feu de bois
02  Aux pensées d’éclairs de chaleur
03  A la taille de sablier
04  Ma femme à la taille de loutre
               entre les dents du tigre
Meine Frau mit einem Schopf wie ein Holzfeuer
Mit Gedanken wie Wärmeblitze
Mit der Taille einer Sanduhr
Meine Frau mit der Taille eines Otters
               zwischen den Zähnen des Tigers
05  Ma femme à la bouche de cocarde et
               de bouquet d’étoiles de dernière grandeur
06  Aux dents d’empreintes de souris blanche
               sur la terre blanche
07  A la langue d’ambre
               et de verre frottés
Meine Frau mit einem Mund wie eine Kokarde und
               wie ein Bukett aus Sternen letzter Größe
Mit Zähnen wie Spuren einer weißen Maus
               auf weißer Erde
Mit einer Zunge aus Bernstein
               und Glas berieben beide
08  Ma femme à la langue
               d’hostie poignardée
09  A la langue de poupée
               qui ouvre et ferme les yeux
10  A la langue de pierre incroyable
Meine Frau mit einer Zunge
               wie eine durchstochene Hostie
Mit der Zunge einer Puppe
               die die Augen öffnet und schließt
Mit der Zunge wie aus einem unglaublichen Stein
11  Ma femme aux cils de bâtons d’écriture d’enfant
12  Aux sourcils de bord de nid d’hirondelle
13  Ma femme aux tempes d’ardoise
               de toit de serre
14  Et de buée aux vitres
Meine Frau mit Wimpern wie Kinderschreibstifte
Mit Brauen wie der Rand eines Schwalbennestes
Meine Frau mit Schläfen wie der Schiefer
               vom Dach eines Gewächshauses
Und wie der Beschlag auf den Fensterscheiben
15  Ma femme aux épaules de champagne
16  Et de fontaine à têtes de dauphins
               sous la glace
17  Ma femme aux poignets d’allumettes
18  Ma femme aux doigts de hasard
               et d’as de coeur
Meine Frau mit Schultern wie Champagner
Und eines Brunnens mit Delfinenköpfen
               unter einer Eisschicht
Meine Frau mit Handgelenken wie Streichhölzer
Meine Frau mit Fingern wie beim Glücksspiel
               und mit einem Herz-As
19  Aux doigts de foin coupé
20  Ma femme aux aisselles de martre
               et de fênes
21  De nuit de la Saint-Jean
22  De troène et de nid de scalares
Mit Fingern wie geschnittenes Heu
Meine Frau mit Achselhöhlen des Marders
               und des Fruchtbechers vom Buchecker
Wie die Nacht auf Johanni
Wie Liguster und wie das Nest von Skalaren
23  Aux bras d’écume de mer et d’écluse
24  Et de mélange du  blé et du moulin
25  Ma femme aux jambes de fusée
26  Aux mouvements d’horlogerie
               et de désespoir
Mit Armen wie die Gischt in Meer und Schleuse
Und einem Gemenge aus Weizen und Mühle
Meine Frau mit Beinen wie eine Rakete
Mit den Bewegungen eines Uhrwerks
               und aus Verzweiflung  
27  Ma femme aux mollets de moelle de sureau
28  Ma femme aux pieds d’initiales
29  Aux pieds de trousseaux de clés
               aux pieds de calfats qui boivent
30  Ma femme au cou d’orge imperlé
Meine Frau mit Waden wie Holundermark
Meine Frau mit Füßen wie Initialen
Mit Füßen wie Schlüsselringe
               an den Füßen zechender Kalfaterer
Meine Frau mit einem Hals wie ungeschälte Gerste
31  Ma femme à la gorge de Val d’or
32  De rendez-vous dans le lit même du torrent
33  Aux seins de nuit
34  Ma femme aux seins
               de taupinière marine
Meine Frau mit einer Kehle wie das Val d’Or
Wie ein Rendezvous mitten im Bett des Wildbachs
Mit Brüsten wie die Nacht
Meine Frau mit Brüsten
               wie Maulwurfshügel des Meeres
35  Ma femme aux seins
               de creuset du rubis
36  Aux seins de spectre de la rose sous la rosée
37  Ma femme au ventre de dépliement
               d’éventail des jours
Meine Frau mit Brüsten
               wie ein Schmelztiegel für Rubine
Mit Brüsten vom Spektrum einer taubedeckten Rose
Meine Frau mit einem Bauch
               der die Tage wie einen Fächer entfaltet
38  Au ventre de griffe géante
39  Ma femme au dos d’oiseau
               qui fuit vertical
40  Au dos de vif-argent
41  Au dos de lumière
Mit dem Bauch wie eine riesige Klaue
Meine Frau mit dem Rücken eines Vogels
               der vertikal entflieht
Mit einem Rücken wie Quecksilber
Einem Rücken aus Licht
42  A la nuque de pierre roulée
               et de craie mouillée
43  Et de chute d’un verre
               dans lequel on vient de boire
44  Ma femme aux hanches de nacelle
Mit einem Nacken wie gerollter Stein
               und wie feuchte Kreide
Und wie das Fallen eines Glases
               aus dem eben noch getrunken wurde
Meine Frau mit Hüften wie ein Nachen  
45  Aux hanches de lustre et de pennes de flèche
46  Et de tiges de plumes de paon blanc
47  De balance insensible
48  Ma femme aux fesses
               de grès et d’amiante
Mit Hüften wie Glanz und Befiederung eines Pfeils
Und den Federstielen des weißen Pfaus
In gleichbleibender Schwebe
Meine Frau mit dem Gesäß
               wie Sandstein und Asbest
49  Ma femme aux fesses de dos de cygne
50  Ma femme aux fesses de printemps
51  Au sexe de glaïeul
52  Ma femme au sexe de
               placer et d’ornithorynque
Meine Frau mit dem Gesäß wie ein Schwanenrücken
Meine Frau mit dem Gesäß wie der Frühling
Mit dem Geschlecht wie eine Gladiole
Meine Frau mit dem Geschlecht wie
               ein Grabungsort und wie ein Schnabeltier
53  Ma femme au sexe
               d’algue et de bonbons anciens
54  Ma femme au sexe de miroir
55  Ma femme aux yeux pleins de larmes
Meine Frau mit dem Geschlecht
               wie Algen und alte Süßigkeiten
Meine Frau mit dem Geschlecht wie ein Spiegel
Meine Frau mit Augen voller Tränen
56  Aux yeux de panoplie violette
               et d’aiguille aimantée
57  Ma femme aux yeux de savane
58  Ma femme aux yeux d’eau
               pour boire en prison
Mit Augen wie eine violette Rüstung
               und wie eine Magnetnadel
Meine Frau mit Augen wie Savannen
Meine Frau mit Augen wie Wasser
               nach dem man im Kerker lechzt
59  Ma femme aux yeux de bois
               toujours sous la hache
60  Aux yeux de niveau d’eau de niveau
               d’air de terre et de feu.
Meine Frau mit Augen wie ein Wald
               der jederzeit unter die Axt kommen kann
Mit Augen auf der Höhe des Wasserspiegels
               und des Luftstroms über Land und Feuer.

Text nach [1];  

verglichen mit [3]  


© Wolfgang Herrmann, 16. August 2018  

(für diese Neuübertragung a.d. Französischen)  


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Anmerkungen
1. Zum geänderten Titel des Poems
Den bislang verwendeten Übersetzungstitel "Freie Liebe" gab es als Begriff zwar 1931 schon, aber er war da noch voll durch die Frauenrechtlerinnen vereinnahmt und bedeutete durchaus nicht das, als was ihn die Deutschen 1960 "vielsagend schmunzelnd" zu verstehen pflegten. Niemand sonst ist darauf verfallen, den Titel als "Freie Liebe" zu wählen, schließlich ja auch Breton selbst nicht. Und zum "Ehebündnis" passt "Freies Bündnis" als Gegensatz doch perfekt.
2. Die Übertragung der sprachlichen Konstruktionen aus "à" und "de"
Sie stellen die Masse an sprachlicher Substanz der Verse dar. Der Autor verwendet sie zur Beschreibung der "körperlichen Eigenschaften" der geliebten Frau. Mit "à" benennt er eindeutig, was ist "ihr Besitz", und mit "de" von welcher "Art oder Herkunft" der ist (um es einmal ganz simpel zu formulieren). Es gibt alle erdenklichen Schwierigkeitsstufen: von der einfachsten (Vers 57) bis zum Ende der Fahnenstange (Vers 60).
3. Stilelemente
*) Die "Anaphern" des Originals werden strikt beibehalten bzw. übertragen. Das sind rhetorische Figuren, die durch eine fortlaufende Wiederholung in Folgeversen den Zustand von Nachdruck erzeugen. Hauptsächlich ist das "Meine Frau" (und nicht irgendeine oder gar jede, obwohl Breton mit dieser Frau nie/nicht verheiratet war).
Es werden auch keine "deutschen Stilformen" als Ersatz für die des französischen Surrealismus erdacht, weil sich gute Entsprechungen finden lassen. Um es anhand eines Beispiels zu belegen: statt den Vers 01 etwa wiederzugeben durch eine Aneinanderreihung von Elementen ohne Flexionen – wie in [4]:
.         Meine Frau ihr Haar ein Holzfeuer
kann man doch – und damit viel näher an Breton – sagen:
.         Meine Frau mit einem Schopf wie ein Holzfeuer.
4. Links auf Quellen
[1]      Maurice Nadeau: Histoire du Surréalisme, Éd. du Seuil, Paris, 3e éd. 1945, p
.         339/40 (Belegexemplar im Privatbesitz des Übersetzers).
[2]      André Breton et l’amour fou (über die Einstellung des Autors zur Liebe):
.         http://www.philosophieetsurrealisme.fr/andre-breton-et-lamour-fou/
[3]      Gedichttext und Gliederung eines Referats (franz.) für das französische Abitur:
.         http://www.bacdefrancais.net/union-libre-breton.php
[4]      Komplettansicht von Max Hölzers Über­tragung für das Kompendium [5]:
.         https://www.zeit.de/1966/41/freie-liebe/komplettansicht
[5]      „Museum der modernen Poesie“, im Suhrkamp Verlag, Frankfurt. 1960 ff,
.         herausgegeben von Hans Magnus Enzensberger.


Zur Übertragung einzelner Verse
Wortschöpfungen, Fehlerbeseitigung, ergänzende Hinzufügungen kennzeichnen die eigenverantwortliche Tätigkeit des Übersetzers. Insgesamt sind im Vergleich zu [4] weniger als 10% der Verse unverändert geblieben, und das, weil sie einfach keine Neuformulierungen hergeben. Zu einzelnen Versen folgen nun die wichtigsten Änderungen (lexikalische und/oder grammatikalische Fehler in Rotschrift):

Nr.       Formulierung in [4]                               → Formulierung in der Neuübertragung
01        Meine Frau ihr Haar ein Holzfeuer → Meine Frau mit einem Schopf wie ein Holzfeuer.
04        Taille eines Fischotters → Taille eines Otters
05        ein Strauß der allergrößten Sterne → ein Bukett aus Sternen letzter Größe
06        ihre Zähne die Spur → mit Zähnen wie Spuren einer weißen Maus
07        aus geriebenem Bernstein und Glas → aus Bernstein und Glas berieben beide
.           (frotés bezieht sich auf beides, aber "aus geriebenen" wäre zu schwach)
08        eine erdolchte Hostie → eine durchstochene Hostie (s. Abdruck des Waffeleisens!)
09        ihre Zunge eine Puppe → mit der Zunge einer Puppe
10        aus seltsamem Stein → aus einem unglaublichen Stein (étrange ←/→ incroyable)
11        eine Kinderstäbchenschrift → wie Kinderschreibstifte (bâtons d’écriture d’enfant)
13        wie Dachschiefer eines Treibhauses → wie der Schiefer vom Dach eines
.           Gewächshauses
14        wie ein Hauch auf Scheiben → wie der Beschlag auf den Fensterscheiben
16        wie eine Quelle → eines Brunnens
20        Achselhöhlen wie Marder Haselnüsse → mit Achselhöhlen des Marders …
.           Buchecker
23        Meer und Schleusenschaum → die Gischt in Meer und Schleuse
24        Korn und Mühle zugleich → Gemenge aus Weizen und Mühle
26        und vieler Uhrwerke → Bewegungen eines Uhrwerks (Einzahl!)
29        an den Füßen der Kalfaterer die trinken → an den Füßen zechender Kalfaterer
32        Rendez-vous tief im Bett → Rendezvous mitten im Bett des Wildbachs
34        mit Brüsten wie Maulwurfshügel → wie Maulwurfshügel des Meeres
35        Schmelztiegel von Rubinen → Schmelztiegel für Rubine
37        gleich dem Fächer der sich entfaltet → der die Tage wie einen Fächer entfaltet
39        meine Frau ihr Rücken ein Vogel → Meine Frau mit dem Rücken eines Vogels
42        mit dem Nachen aus gerolltem Stein → mit einem Nacken wie gerollter Stein
43        Fallen eines eben geleerten Glases → Fallen eines Glases aus dem eben noch
.           getrunken wurde
46        Federschäften des weißen Pfaus → Federstielen des weißen Pfaus
47        unbewegliche Waage → In gleichbleibender Schwebe
50        meine Frau ihr Gesäß ein Frühling → meine Frau mit dem Gesäß wie der Frühling
53        wie Algen und alte Bonbons → wie Algen und alte Süßigkeiten
58        wie Wasser das man im Kerker trinkt → wie Wasser nach dem man im Kerker lechzt
59        mit Augen wie Holz das immer unter der Axt → mit Augen wie ein Wald der jederzeit
.           unter die Axt kommen kann (bois ←/→ forêt)
60        auf der Höhe des Wassers auf der Höhe der Luft aus Erde und aus Feuer →
.           auf der Höhe des Wasserspiegels und des Luftstroms über Land und Feuer.
            → Dies scheint der einzige nicht eindeutig interpretierbare Vers zu sein: hier die  
.           Variante mit zusätzlichem "und". Jedenfalls ist niemand bisher aufgefallen, dass
.           Breton hier die 4 Elemente als Maßgabe für etwas Vollkommenes (Schönheit der
.           Frau) nennt – aber den Vers hätte er vielleicht besser bauen sollen …

elbwolf, 17.08.2018