Freitag, 12. Januar 2018

Ballade-1: Schicksal (Heliane Meyer a. G.)


 Luigi Sabatelli (1772-1850): Radierung nach eigener Zeichung.
Die Pest 1348 in Florenz – wie bei Boccaccio im "Decameron" beschrieben.
Quelle: Wellcome Library no. 10124i; via wikimedia.commons; Liz.: CC BY-SA 4.0

Schicksal

Es trug sich zu am Hafen im schönen Genua,
als heimwärts kam Don Carlos, Isolde rief "Hurra!"
Wie groß war ihre Freude nach langer Trennungszeit,
denn Carlos war ein Seemann, die Reise lang und weit.

Zuhause schlief Carlino, der beiden kleiner Sohn,
sie freuten sich und sprachen zumeist im Flüsterton.
Das Kind war gut gediehen und ließ den Eltern Ruh,
sie lebten überglücklich und lachten immerzu.

Don Carlos schleppte Gaben für seine Lieben heim,
die Seide für Isolde, fürs Kindchen Honigseim.
Doch trug mit ihm das Schicksal den Schwarzen Tod ins Haus,
der raffte Klein Carlino und brachte Angst und Graus.

Verzweifelt war Don Carlos, Isolde siechte hin,
der Seemann rief zum Himmel und fragte nach dem Sinn.
Doch fand er keine Hilfe, der Priester winkte ab,
so stand Don Carlos weinend und einsam vor dem Grab.

Bald waren alle Straßen der schönen Stadt am Meer
vom Pestgestank durchdrungen und trostlos, grau und leer.
Da griff der Mann zur Maske und stellte sich dem Tod,
er half den schwer Erkrankten und linderte die Not.

Vergaß bei seiner Mühe nicht eigen Herzeleid,
sah Jahre lang Isolde im neuen Seidenkleid.
Carlino wuchs in Träumen zum schönen, stolzen Held,
ein Retter aller Kranken und Schwachen auf der Welt.

Es trug sich zu am Hafen im schönen Genua,
als jener Seemann Carlos dem Tod ins Auge sah.
Er lebte noch sehr lange, ertrug sein eigen Weh,
und fuhr sein ganzes Leben nie wieder über See.



 © Heliane Meyer (Erstveröffentlichung Juni 2014)
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Legende:
In die Hafenstadt Genua, die zu den größten des Kontinents zählte und nach 1284 das westliche Mittelmeer beherrschte, hatten die eigenen Galeeren die Pest eingeschleppt. Nach den Angaben De Mussis kam nur ein Siebtel der Einwohner mit dem Leben davon; im Jahr 1348 gab es einige Monate lang einen Kampf ums nackte Dasein. Ein weiteres Zeugnis besagte: "Junge Leute starben früher als greise, besonders auch junge Frauen … und allgemein mehr Frauen als Männer." Dass junge und schöne Menschen bevorzugte Opfer der Pest wurden, versicherte auch Boccaccio. /nach: Klaus Bergdolt: Der schwarze Tod. Beck'sche Reihe, 20004/ 

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