Dienstag, 17. Januar 2023

Poesie des Poesiealbums (1/?)

Typischer Spruch aus einem Poesiealbum aus Zürich, 1929 (in Privatbesitz);
Urheber: Ursula Steinbrüggen; via Wikimedia Commons; Liz.: CC BY-SA 3.0.

Die Poesie des Poesiealbums
Dies ist kein Ulk, sondern der Anfang einer ernst gemeinten Beitragsserie sowie ein weiterer Anlauf, das Poesiealbum am Leben zu erhalten! Wer mit dem Begriff schon gar nichts mehr anzufangen weiß, der findet →hier← eine Einführung. Einige kurze Auszüge seien zitiert (s. ebendort); der Wechsel in den Zeitformen der Verben weist übrigens drauf hin, wie "lavede" die ganze Sache doch schon geworden ist:

-       Durch die Beziehung zwischen dem Besitzer des Albums und den Eintragenden wird das Poesiealbum zum Dokument einer bestehenden oder gewesenen persönlichen Beziehung.

-       Die eingetragenen Lebensweisheiten, Ratschläge und Mahnungen religiösen und weltlichen Inhalts leisteten einen Beitrag an theoretischer Lebenshilfe und -bewältigung.

-       Der Albumbesitzer als Textempfänger übte im Allgemeinen keinen Einfluss auf die Auswahl des Textes bzw. die äußere Gestaltung der Eintragung aus. Dieser Bereich blieb als individueller Frei- und Spielraum den Eintragenden vorbehalten.[

-       Der Besitzer des Albums gibt auf der ersten Seite oft einige Regeln bekannt und nimmt so Kontakt zu den Eintragenden auf.


Das Album wird meist in drei einfache Abschnitte eingeteilt:

1. Die Einleitung als Zustimmung, nichts Überdurchschnittliches (!) zu erwarten:

Schreib mir was ins Album rein,
kann durchaus bescheiden sein –
einfach was, das bisher dein:
dann bedenken wir's zu zwein!

Liegt dein Spruch mit andern quer,
achte drauf nicht allzu sehr –
Sachen haben meist zwei Seiten
mit den gleichen Schwierigkeiten!
Wählen könnte ich mir dann,
die, mit der ich besser kann.

 
2. Der Hauptteil, um Meinungen von "bleibendem Wert" und auch Späße zu äußern:
 
Trage winters Pudelmütze,
denn die wärmt im Kopf die Grütze –
nur wem Grütze fehlt im Kopf
trägt statt Mütze einen Topf.

Zwischen Wiege und der Bahre
gönne ich dir hundert Jahre,
die das Schicksal überstürzt
oft auf neunundneunzig kürzt.

Machst du eine längre Reise –
meide ausgelatschte Gleise!
Auch beim Drehn im Endloskreise
kriegst du eher eine Meise.
Die Gedanken aber blitzen
oft schon beim bequemen Sitzen.
 

3. Das Ende des Hauptteils kennzeichnet eine Einzelseite, die nicht überschritten werden darf:

Mag auch dein Gedankengut
         ohne Ende heftig sprudeln –
bitte nicht vor Übermut
         in den Rest des Albums trudeln:
Nur bis hier zu dieser Seite
         hast du freies Schreibgeleite!


© elbwolf (WH) / 16.01.2023

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