Hier schreiben Hobbydichter für Lyrik-Freunde – meist Gereimtes und nur Druckreifes! Willkommen also, viel Vergnügen mit unseren Gedichten und deren Bebilderung!

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Bereits seit Jahresbeginn bringen wir neue Folgen an Kalenderblättern und Monatsbildern. Darum herum dann das, was sich an Einfällen so ergibt – man wird sehen! Nun ja, was man auch sieht: wir "unterschlagen" seit einer ganzen Weile auch einen gewissen Anteil an sanfter Erotik nicht länger - die Zeiten sind eben so ...

Wir teilen den Lesern unseres Versbildners mit und bitten um Verständnis, dass wir auch weiterhin das monatliche Angebot auf 6 Beiträge beschränken - die Kontaktarmut dieser Zeit bringt leider auch eine gewisse Ideenarmut mit sich. Neueinstellungen erfolgen damit um die Kalendertage des 1., 6., 11., 16./17., 21./22., 25.-27. eines Monats.

Samstag, 28. April 2018

Astronomie und Kalender auf den Monatsbildern der Brüder Limburg (Textbeitrag)

Brüder von Limburg: Die Monatsbilder (Miniaturen, Tempera/Pergament, 1412-16),
,,aus dem "sehr reichen Stunden(Gebet)buch des Jean de Valois, Herzog von Berry";
heute im Musée Condé auf Schloss Chantilly; via wikimedia.commons; gemeinfrei.
./.
Gezeigt sind alle 12 Monatsbilder, jedes mit einem Halbkreis-Diagramm für die
Darstellung seiner monatlichen astronomisch/astrologischen und kalendarischen Daten.

Astronomie und Kalender auf den Monatsbildern der Brüder Limburg  – und ein meist unbeachtetes Detail.

Ein Stundenbuch für den Herzog von Berry – etwa ohne Kalendarium: das wäre ein Unding gewesen.
Die Brüder Limburg fanden dafür eine originelle Lösung. Sie montierten über jedem eigentlichen Monatsbild einen Halbkreis und brachten – neben üblichen Ausschmückungen – vor allem aber zwei halbkreisförmige Skalen, in denen sie die für den Monat geltenden Tierkreiszeichen und die Kalenderdaten eintrugen. So gibt es zum Märzbild aus dem vergangenen Monat diesen aufgesetzten "Apparat":

Die innerste Skala zählt hier die Monatstage 1 .. 31 auf, wobei sich gleich ein Problem für die Kalendermacher ergab: Diesen Halbkreis mussten sie nämlich unterschiedlich in 28, 29, 30 oder 31 gleiche Segmente teilen, je nach der Anzahl der Tage im laufenden Monat.
Zwischen den beiden Bündeln von Skalen sind Tierkreiszeichen eingeschrieben, und auch da gibt es ein Problem. Die Bedürfnisse der Menschheit nach Beobachtung der Sterne (und damit der Tierkreiszeichen) und nach genauen Kalenderdaten fielen auf ganz unterschiedlichen Entwicklungsstufen an. Mit dem (vielleicht ungewollten) Ergebnis, dass der Wechsel von einem Tierkreiszeichen zum nächsten nicht deckungsgleich mit dem Monatswechsel zusammenfällt. Folglich teilen sich immer zwei Tierkreiszeichen einen Monat: hier im März kommen die "Fische" noch aus dem Februar und gehen bis zum 12.3.; von da an ist "Widder" bis in den April hinein.
Den Kalendermachern nötigte das zwei Zusatzleistungen auf. Sie mussten
(1) den Wechsel des Tierkreiszeichens markieren und teilten deshalb den Tierkreis mit einem Strich, der auf den darunter liegenden Kalendertag als den Wechsel wies.
(2) im folgenden Monatsbild das noch fortzusetzende Tierkreiszeichen im Tierkreis wiederholen – wofür sie im Folgemonat oft auch eine zweite Grafik anboten.

Betrachten wir den "Apparat" für den April, dessen Monatsbild unmittelbar vor dieser Betrachtung eingestellt wurde:

Ja, es ist eines der vier unvollendeten Monatsbilder: mit noch leeren Skalen, aber mit den grafischen, d. h. künstlerischen Einträgen:
Der "Widder" beginnt den Tierkreis links und gilt bis zum – bitte auszählen! – 12.4.

Spätestens jetzt müssten alle Horoskopliebhaber auf den Barrikaden sein, denn sie wissen felsenfest: im März fängt der "Widder" nicht am 12.3. an und hört nicht am 12.4. auf. Und das gilt ganz ähnlich auch für alle anderen Monate! Stellen wir die Angaben in einer Tabelle zusammen, die üblicherweise mit der Widder-Zeile beginnt und in der die Angaben Mittelwerte sind, die wegen der Schaltjahre um ± 1 Tag abweichen können.

Tierkreis-
zeichen
1416: Beginn in Monatsbildern
2018: Beginn im mod. Horoskop
Differenz
in Tagen
Widder
12.03.
21.03.
9
Stier
12.04.
21.04.
9
Zwillinge
13.05.
22.05.
9
Krebs
14.06.
22.06.
8
Löwe
15.07.
23.07.
8
Jungfrau
16.08.
24.08.
8
Waage
16.09.
24.09.
8
Skorpion
15.10.
24.10.
9
Schütze
14.11.
23.11.
9
Steinbock
13.12.
22.12.
9
Wassermann
12.01.
21.01.
9
Fische
10.02.
20.02.
10

Damit stellt sich volkstümlich die Frage. "Wer hat daran gedreht?" Und zwar mit Sicherheit doch am Kalender, denn die Gestirne "zu bewegen" wäre wohl weit schwieriger gewesen …

Die Antwort findet sich im Wirken dieses Mannes:
Es ist Papst Gregor XIII (Bildnis von Lavinia Fontana, vor 1614). Er führte den nach ihm benannten "gregorianischen" (oder "bürgerlichen") Kalender 1582 mit der päpstlichen Bulle "Inter gravissimas" ein. Damit wurde das Kalenderdatum für den 21. März wieder in unmittelbare Nähe zum Ereignis der astronomischen Frühlings-Tagnachtgleiche gebracht. Mit der Konsequenz, dass 1582 in der Zählung der Kalendertage die zwischen dem 4.10. und dem 15.10. liegenden Zähltage wegfielen und auf Donnerstag, den 4.10.1582, sofort Freitag, der 15.10. folgte. Ergo: 10 Kalendertage fielen aus!
Als erster Staat übernahm diesen Kalender die Republik Venedig unverzüglich; als bisher letzter Staat stellte die VR China 1949 um.

Die Brüder Limburg schufen aber ihr Stundenbuch ~1416 und damit fast 180 Jahre vor dieser Kalenderumstellung. Deshalb zeigten ihre Tierkreisdaten natürlich "vor Gregor XIII" und lagen folglich etwa  9-10 Tage früher als die heutigen.
Das ist die Lösung des (scheinbaren) Rätsels.

Wolfgang H. (elbwolf; 24.4.2018)
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Literatur: Heinrich Trost: Die Monatsbilder der Brüder von Limburg; Henschelverlag 1962 (Broschur); Reihe "Welt der Kunst"; antiquarisch/selten, Preis 5 - 20 €, aber dafür auch eingeklebte farbige Bilder und Beschreibungen aller Monate!

Dienstag, 24. April 2018

April – Ein Monatsbild

Brüder von Limburg: Monatsbild April (Miniatur, Tempera/Pergament, 1412-16),
,,aus dem "sehr reichen Stunden(Gebet)buch des Jean de Valois, Herzog von Berry";
heute im Musée Condé auf Schloss Chantilly; via wikimedia.commons; gemeinfrei.
./.
Darstellung der für den Frühlingsmonat typischen Erbauungen und Lustbarkeiten
In der Ferne sichtbar des Herzogs eigene (seit 1385) Burg Dourdan;
es könnte sich aber auch um das Schloss Pierrefonds handeln.

April – Ein Monatsbild

Wald und Fluren sind nun schon ergrünt,
auf frischen Wiesen sprießen erste Blumen.
Vom Schloss sind auch die Herrschaften gekommen,
den Frühlingstag in der Natur zu genießen.
Zwei Mädchen pflücken Sträuße blauer Veilchen,

Herausgeputzt steht da die kleine Gruppe:
die Roben weisen auf die hohe Stellung;
ein jeder ist auf seinen Stand bedacht.
Ein blauer Mantel ist bestickt mit Kronen,
ihn trägt der Höchste dieser kleinen Runde.

Er, der Bräutigam, der sich der Braut verlobt:
Den Ring steckt er gerad auf ihren Finger,
bemüht, den Blick der Augen zu erhaschen.
Es ist eine Begegnung ganz unter sich,
und ist doch wie Zeremonie bei Hofe.

Nur unter seinesgleichen verband man sich,
Oftmals waren Kinder schon versprochen.
Es ging dabei um Macht und Einflussnahme,
auch die Familie wurde Politik …
und auf dem Hügel steht die Adelsburg!

© Luzie R.. (04/2018)
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Anmerkungen:

Das Monatsbild April vom Vorjahr 2017 verwendete als Illustration ein Bild aus dem "Breviarium Grimani" (1490-1510); ihm gegenüber entstand dieses Bild hier oben fast ein Jahrhundert früher. Was diese Zeitspanne von 1412-16 bis etwa 1500 gebracht hat, zeigt ein Bilder-Vergleich: April-Bild aus dem Grimani-Brevier!

○ Link auf eine umfängliche Beschreibung des April im "Stundenbuch"
● in der deutschen Fassung der Wikipedia
● und in einer originalen französischen Kurzfassung.

○ Literatur: Heinrich Trost: Die Monatsbilder der Brüder von Limburg; Henschelverlag 1962 (Broschur); Reihe "Welt der Kunst"; antiquarisch/selten, Preis 5 - 20 €, aber dafür auch eingeklebte farbige Bildern und Beschreibungen aller Monate!

○ Die Verse sind fünfhebige ungereimte Akzentverse (s. Stummer, S. 45/46).

Freitag, 20. April 2018

Ballade-4: Hassan ben Ali (Heliane Meyer a. G.)

Francesco Hayez (1791-1881): Die neue Favoritin (Haremsszene; 1866)

Privatsammlung Mailand; via The Yorck Project; public domain.
(Illustration in der engl. Wikipedia zu "Arabische Kultur")

Hassan ben Ali

Der greise Herr Hassan, ein Scheich aus El-Yaaver,
entfachte im Harem ein großes Palaver.
Verkündete leis und von Schmerzen gebogen:
„Wir fahren zur Kur, was ich lang schon erwogen.“

Man packte die Schränke, die Koffer, die Kisten,
die Frauen, die Burkas, die Klunker nach Listen,
bestieg samt dem Hofstaat den eigenen Flieger;
der kam dann nach Stunden in Piestany nieder.

Es harrten des Hadschi bereits Limousinen.
Vom herbstlichen Sonnenlicht golden beschienen
kutschierten sie zügig und ohne viel Worte
zum Balnea Spa, dem weit Besten vor Orte.

Dort warteten Diener in hübschen Livreen,
sie halfen dem Scheich, halbwegs aufrecht zu gehn.
Sechs Frauen, verschleiert, die schritten behände
im Gänsemarsch längsseits der marmornen Wände.

In kostbar erneuerten, riesigen Räumen
kann Hassan ben Ali vom Wüstenland träumen,
im Fango, so wird er, bei Allah, genesen:
Vom Auge wird jeglicher Wunsch abgelesen.

Die Frauen sind manchmal im Kurpark zu sehen,
wo zahlreiche Herren sie wachsam umstehen.
Sie schweigen mit Haltung, ich glaube, sie beten
zum Scheich und zu Allah und seinem Propheten.

Sind gänzlich in kostbaren Stoffen verborgen
zum Mittag, zum Tee und am helllichten Morgen.
Sie nehmen nicht Anteil am Kurgästeleben,
sind einzig dem eignen Kulturkreis ergeben.

Des nachts, wenn die Frauen im Schlafe versinken,
flitzt Hassan zur Bar, um dort Schampus zu trinken.
Genießt seine Freiheit mit glücklicher Miene,
schlürft Austern und kost eine dralle Blondine.

© Heliane Meyer
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Glossar:

   Burka (in Strophe-2): Die Burka ist ein Kleidungsstück, das der vollständigen Verschleierung des Körpers dient. Die Burka wird von vielen Frauen in Afghanistan und Teilen von Pakistan getragen. Das Tragen eines Ganzkörperschleiers hängt mit dem Umfang des als „Scham“ oder „Blöße“ definierten Bereiches zusammen. In westlichen Ländern wird unter „Burka“ mitunter fälschlich jede Form der Vollverschleierung verstanden. (nach Wikipedia)

   Piešťany (in Strophe-2): Die weltbekannte Kurstadt in der Slowakei wurde durch das Vorkommen von geothermalem Heilwasser und sulfathaltigem Heilschlamm berühmt. Der Schlamm aus Piešťany und das thermale Mineralwasser haben eine außerordentliche Heilwirkung bei Erkrankungen des Bewegungsapparates und sind einmalig nicht nur in Europa, sondern auch weltweit.

   sechs Frauen (in Strophe-4): Auch wenn die Polygamie im islamischen Kulturkreis nicht unumstritten ist, so erlaubt nach islamischer Rechtsauffassung der Koran die Ehelichung von bis zu vier Frauen sowie eine unbestimmte Zahl von Konkubinen. Eine Frau hingegen kann nur mit einem einzigen Mann verheiratet sein. Die Ehelichung von mehr als einer Frau ist nach islamischem Recht an hohe Anforderungen gebunden. Der Mann muss eine vollkommene Gleichbehandlung der Frauen gewährleisten; keine der Ehefrauen darf finanziell oder emotional bevorzugt werden. Der Mann muss darüber hinaus finanziell in der Lage sein, jeder seiner Ehefrauen einen eigenen Haushalt zu finanzieren. (s. Wikipedia)

Montag, 16. April 2018

Ein allerletztes Mal zum Frühling 2018 – Sonette in Alexandrinern

Frühlingswiese (mit Sumpfdotterblumen, Wiesenschaumkraut und
einer
Schlehdornhecke im Hintergrund); Aufnahme in der Gegend von Münster, NRW.
Autor: Guido Gerding, 3.5.2006; via wikimedia.commons; Liz.: CC BY-SA 3.0

 Frühling in der Zeit

Der Frühling zieht durchs Land, er treibt den Winter aus.
Ein leichter warmer Wind, der Himmel licht und blau,
die Wiese grün und bunt, sie wird zur Blütenschau.
Ich freu mich, wandere in diese Welt hinaus.

Die Kinder froh beim Spiel; sie toben vor dem Haus.
Den Bauern ziehts aufs Feld; sein Rad schlägt schon der Pfau.
Ganz nah ein Lied erklingt, wohl eine frohe Frau,
die ihren Raum nun schmückt mit einem Blumenstrauß.

So wie in jedem Jahr – der Winter musste gehn:
es ist das Spiel der Zeit, so wirds wohl weitergehn;
doch Garantie gibt’s nicht, wer kann die Zukunft deuten?

Die Ewigkeit im Blick, sie liegt in Gottes Hand;
wie auch das Weltgeschick – es hat schon lang Bestand.
Ich freue mich: ich leb, hör Glockenblumen läuten.

© Luzie-R. (lillii, im ST gepostet am 12.04.2018, überarbeitet)


Jahreszeiten ohne Frühling

Die Zeiten der Natur - das Frühjahr grad im Kommen -
die sind uns so gewohnt; doch setzen wir den Fall,
das ändert sich einmal: wir hören einen Knall
und statt des Frühlings folgt ... der Sommer, strenggenommen!

Was wär dran rätselhaft, was machte wie benommen?
Die Bäume stehn im Grün - wo blieb der Knospen Schwall?
Die Blumen schon verblüht - ganz ohne Widerhall
dahin die Farbenpracht, rings alles wie verschwommen.

Es gäbe allerdings doch etwas zu bedenken:
verschwände denn zudem noch eine Jahreszeit,
was bliebe uns zu tun, das Ganze einzurenken?

Käm stracks auf Sommerzeit der Winter wie im Fluge …
solch Wechseln heiß mit kalt – das ginge euch zu weit?
Ihr fühlt Gefahr noch nicht: sie ist schon im Verzuge!

© Wolfgang H. (elbwolf; im ST gepostet am 13.4.2018; bearbeitet)
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Nachbemerkung:
Sonette in Alexandriner-Versen waren einstmals vorherrschend, heute wagt sich wahrscheinlich nicht einmal jeder Sonette-Schreiber an die damit verbundenen doppelten Anforderungen: die, an das deutsche Sonett und die an den Alexandriner. Letzteres meint: gereimt und nicht geleiert – daher die Mischung vollständiger (also 12-Silber) und übervollständiger Alexandriner (d. h. 13-Silber).
Das zweite Sonett oben verfolgt z. B. die Absicht, das Sonett-Reimschema
abba – abba – {ccd-eed, cdd-cee, cdc-dee, cdc-ede, cde-cde}
so umzusetzen, dass die Terzette ohne Paarreimer auskommen und die 12-Silber-Verse (d) von 13-Silbern umfasst werden: (cdc – ede).
Interessant, dass die Verslehre von Stummer ein Beispiel bringt, dessen Dichter genau das Gegenteil anstrebt, nämlich möglichst viele 12-Silber, und er wählt ccd-eed! Wenn wir dort über alten Wortgebrauch und kleine Rhythmusfragen wegsehen, so ist es vor allem die vorbildliche Behandlung der Versmitte in allen Verszeilen, die ja den Pauseneinschub sichert! Deswegen sei dieses historische Sonett hier druntergesetzt, weil jeder von uns Sonett-Schreibern davon etwas lernen kann.
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Andreas Gryphius (1616-64):

Menschliches Elende

Was sind wir Menschen doch? Ein Wohnhaus grimmer Schmerzen,
ein Ball des falschen Glücks, ein Irrlicht dieser Zeit,
ein Schauplatz herber Angst, besetzt mit scharfem Leid,
ein bald verschmelzter Schnee und abgebrannte Kerzen.

Das Leben fleucht davon wie ein Geschwätz und Scherzen.
Die vor uns abgelegt des schwachen Leibes Kleid
und in das Totenbuch der großen Sterblichkeit
längst eingeschrieben sind, sind uns aus Sinn und Herzen.

Gleichwie ein eitel Traum leicht aus der Acht hinfällt
und wie ein Strom verscheußt, den keine Macht aufhält,
so muss auch unser Nam, Lob, Ehr und Ruhm verschwinden.

Was itzund Atem holt, muss mit der Luft entfliehn,
was nach uns kommen wird, wird uns ins Grab nachziehn.
Was sag ich? Wir vergehn wie Rauch vor starken Winden.

Donnerstag, 12. April 2018

Lebenssinn und Lebensinhalt

Hamlet, mit Yoricks Schädel; /5. Aufzug, 1. Auftritt *)/
Zeichner: Henry Courtney Selous (1803-90; Zeichnung ~1868?)

Lebenssinn

Manch einer möchte dauernd
den Lebenssinn ergründen,
und fragt sich dann, erschauernd,
worin wird das noch münden.

Wer kann schon Wahrheit künden,
sei Suchen selbst beständig –

erst wenn Gedanken zünden,
dann wird der Sinn lebendig,

Gesucht wird meist vergeblich.
Der Sinn ist: einfach "leben";
nimm's leicht, dann wird erheblich
Gewinn sich draus ergeben.

Dein Leben, leicht ob schwer,
nimm's an, wie's ist: leger.

© Luzie -R. (lillii, 9.3.2018)


Lebensinhalt

Wer wollte es dir denn verübeln,
dass du den Lebenssinn ergründest,
mit anderen, die auch so grübeln,
zu diesem Zwecke dich verbündest.

Ist man mit weiteren im Bunde,
verfällt man nicht so schnell in Trance;
das wäre eine gute Kunde
und gäbe dir manch neue Chance.

Verbringst du Zeiten auch mit Suchen,
erfüllst du trotzdem dir dein Leben
und kannst es als Erfolg verbuchen,
denn schließlich wird sich eins ergeben:

Dein Dasein hat zum Lebenssinn,
dass du es ausfüllst mit Gewinn!

© Wolfgang H. (elbwolf; 10.3.2018)
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Anmerkung:
Beide kleinen Gedichte sind in der Art des englischen Sonetts abgefasst, weisen aber weniger Versfüße auf. Zudem ist die Reimstellung mit Kreuzreimung in allen drei Quartetten und immer neuen Reimsilben einfach auszuführen. Es wäre aber ein Anreiz gegeben, die Gedichtinhalte in die vollständigen Sonettformen umzuschreiben, deren Reimschemata deshalb hier angefügt sind:

altitalienisch: abababab – cdecde         (nur jambische Elfsilber)
englisch:       abab – cdcd – efef – gg
deutsch:       abba – abba – {ccd-eed, cdd-cee, cdc-dee, cdc-ede, cde-cde}

*) Die Stelle, auf die sich die IIlustration bezieht, lautet:
Erster Totengräber. … Dieser Schädel da war Yoricks Schädel, des Königs Spaßmacher.
Hamlet. Dieser? (Nimmt den Schädel.)
Erster Totengräber. Ja, ja, eben der.
Hamlet. Ach, armer Yorick! – Ich kannte ihn, Horatio, ein Bursche von unendlichem Humor, voll von den herrlichsten Einfällen. Er hat mich tausendmal auf dem Rücken getragen, und jetzt, wie schaudert meiner Einbildungskraft davor! Mir wird ganz übel. Hier hingen diese Lippen, die ich geküsst habe, ich weiß nicht wie oft. Wo sind nun deine Schwänke, deine Sprünge, deine Lieder, deine Blitze von Lustigkeit, wobei die ganze Tafel in Lachen ausbrach? Ist jetzt keiner da, der sich über dein eigenes Grinsen aufhielte? Alles weggeschrumpft? Nun begib dich in die Kammer der gnädigen Frau und sage ihr, wenn sie auch einen Finger dick auflegt: so ’n Gesicht muss sie endlich bekommen; mach sie damit zu lachen! – Sei so gut, Horatio, sage mir dies eine.
Horatio. Und was, mein Prinz?
Hamlet. Glaubst du, dass Alexander in der Erde solchergestalt aussah?
Horatio. Gerade so.