Hier schreiben Hobbydichter für Lyrik-Freunde – meist Gereimtes und nur Druckreifes! Willkommen also, viel Vergnügen mit unseren Gedichten und deren Bebilderung!

Aufrufe unseres Blogs erfolgen automatisch mit Sicherheitsprotokoll "https". Am 18. Mai 2022 hatten wir unseren 600. Beitrag in den Blog gestellt!

Bereits seit Jahresbeginn bringen wir neue Folgen an Kalenderblättern und Monatsbildern. Darum herum dann das, was sich an Einfällen so ergibt – man wird sehen! Nun ja, was man auch sieht: wir "unterschlagen" seit einer ganzen Weile auch einen gewissen Anteil an sanfter Erotik nicht länger - die Zeiten sind eben so ...

Wir teilen den Lesern unseres Versbildners mit und bitten um Verständnis, dass wir auch weiterhin das monatliche Angebot auf 6 Beiträge beschränken - die Kontaktarmut dieser Zeit bringt leider auch eine gewisse Ideenarmut mit sich. Neueinstellungen erfolgen damit um die Kalendertage des 1., 6., 11., 16./17., 21./22., 25.-27. eines Monats.

Donnerstag, 28. November 2019

Der alte Schuppen

Alter Schuppen im Vorgelände meines westfälischen Städtchens;
Foto der Verfasserin von Mitte 2019.

Es war einmal

Der alte Schuppen könnte viel erzählen! 
Verlassen steht er da und schlecht verwahrt; 
so fern sind Bilder, die er offenbart, 
wenn sie sich aus Erinnerungen schälen. 

Als gegen Ende der verlornen Schlachten  
die Fronten nahten, hatten tief erschreckt 
sich einige Familien versteckt, 
die fürchteten, was wohl die Sieger brachten. 

Mit ihnen Kinder – und das gleich in Scharen – 
die sind bescheid'ner Leute einzig Reich; 
hier waren sie auch wirklich alle gleich 
und strebten, den Zusammenhalt zu wahren.

Gekocht ward viel in diesem kleinen Hause 
für etwa dreißig Leute (und den Hund). 
Die Not vereinte sie zu einem Bund, 
und nie blieb einer gänzlich ohne Jause. 

So könnte ich aus dem Vergang'nen wählen, 
weil ich noch deutlich sehe, wie es war; 
es gibt sonst niemand mehr, das ist mir klar, 
dem dieser Schuppen würde was erzählen. 

© lillii (Luzie-R; bearbeitet)

Montag, 25. November 2019

November (L. Winrich a. G.)

Bodennebel nach dem Sonnenuntergang an der "Rosenmühle";
Adensen, Gemeinde Nordstemmen, Landkreis Hildesheim, Niedersachsen.
Foto+©: Michael Gäbler, 24.11.2008; via wikimedia.commons; Liz.: CC BY 3.0
(Dieses Bild war am 23. Oktober 2009 das Bild des Tages)

November

November schaut mit grauen Blicken,
der Wind fegt fauchend durchs Geäst.
Kein Blatt wird an den Zweigen bleiben;
vom Sommer nicht der kleinste Rest.

Die letzte goldne Episode
winkt noch im Fallen sanft herein.
Bald wird das Grau in allen Schatten
die schönste aller Farben sein.

Bis dann der Schnee mit seinem Mantel
die lähmende Tristesse bedeckt
und Kerzenlicht in allen Stuben
die Hoffnung wieder neu erweckt.

Der Vogel mit dem roten Kehlchen
sitzt rund und satt am Futterplatz.
Die Meisen schaukeln mit dem Häuschen,
vom Boden nascht der freche Spatz.

Es ist, als ob mit dem November
Natur sich in die Laken schmiegt,
als ob das Leben allerorten
in seinen letzten Zügen liegt.

Das ist nur Schein, es ist die Ruhe
die der November mit sich bringt.
Natur, sie ist ein wenig müde:
Erschöpfung ists, mit der sie ringt.

Doch lange währet diese Stille
ganz sicherlich bei keinem an,         
weil sich das Leben auf die Dauer
im Stillstand nicht entwickeln kann.        

Dann lärmt es von den Weihnachtsmärkten,
dann duftet es nach Zimt und Nuss,
dann sind die Kinder nicht zu halten,
weil Weihnachten bald kommen muss.

© Luise Winrich a. G. (Oktober 2019)

Donnerstag, 21. November 2019

Schillers "Göttinnen der 7 Künste"/ 7: Schauspielkunst

Joshua Reynolds (1723-92): David Garrick *) zwischen Tragödie und Komödie (1761)
Sammlung Waddesdon Manor; via wikimedia.commons; gemeinfrei.

Die Schutzgöttinnen der Künste sind in der griechischen Mythologie
die olympischen Musen: 9 an der Zahl, wie von Hesiod überliefert;
 dargestellt z. B. im Musen-Peristyl des Achilleion auf Korfu (~1890).
Betrachtern fällt auf, dass unter diesen neun die bildenden Künste fehlen,
 aber Astronomie, Geschichte sowie 4 literarische und 3 musikalische Gattungen
 vertreten sind! Auch Friedrich Schiller verließ das alte Muster und benennt in der
 "Huldigung der Künste" (1804) als "der Künste Schar des Schönen" die Göttinnen
 für Architektur, Skulptur, Malerei, Poesie, Musik, Tanz und Schauspielkunst.

  
Schillers "Göttinnen der 7 Künste"/7: Schauspielkunst

Die Schauspielkunst zeigt ihre zwei Gesichte:
aufs Tragische zurück das eine schaut;
das andre blickt nach vorn und auf zum Lichte,
weil es gewohnt auf den Erfolg vertraut.
Steht einer jedoch mitten im Gedränge –
wo findet er den Ausweg aus der Not?
Nur schwer zu meistern geht des Alltags Enge –
nicht jeder Tag beginnt mit Morgenrot.
Dass sich das Schicksal schließlich wieder wende,
wird manchmal wahr; bleibt manches Mal Legende.

Die Kunst bringt Ungewisses auf die Bühne,
bedient sich der Versuchung liebend gern:
das Abbild von Erfolg, von Schuld und Sühne
ist keinem menschlichen Akteur je fern.
Er lässt uns so die Szenen nacherleben
und mildert Freud wie Leid, sofern er kann;
allmählich dann erfasst auch uns Bestreben,
bringt endlich künftig Nützliches voran. –
Und seid ermahnt: an Wünschen nicht zu viele!
Bedenkt – es sind ja doch Theaterspiele …

© W. Herrmann, 20.11.2019
--------------------------------------------------------------------------------------
Anmerkungen:
*) David Garrick (1717-79) war ein berühmter englischer Schauspieler des 18. Jh., des Zeitalters der Aufklärung. Er war sowohl als Komödiant als auch in ernsten Rollen besonders auf den Londoner Bühnen erfolgreich.
Reynolds Bild " David Garrick zwischen Tragödie und Komödie" wird in moderner Auslegung auch als "Der Mann zwischen Laster ("vice", li) und Tugend ("virtue", re) interpretiert.

Thalia ist die Muse der komischen Dichtung und der Unterhaltung. Später wurde Thalia allgemein als die Beschützerin aller Theaterspielstätten angesehen. Ihre Zeichen, mit denen sie dargestellt oder beschrieben wird, sind die komische Maske, der Efeukranz und der Krummstab des Schäfers, Sie gilt als ländliche Frau.
Melpomene ist die Muse der tragischen Dichtung und des Trauergesangs. Ihre Zeichen sind die tragische Maske in der einen und eine Keule in der anderen Hand, sowie ein Hauptkranz mit Weinlaub.

Inhalt und Metrik der entsprechenden Strophe bei Schiller lauten:
Schauspielkunst (mit einer Doppelmaske).
Ein Janusbild lass' ich vor dir erscheinen,                               u-u-u-u-u-u
Die Freude zeigt es hier und hier den Schmerz.                     u-u-u-u-u-
Die Menschheit wechselt zwischen Lust und Weinen,            u-u-u-u-u-u
Und mit dem Ernste gattet sich der Scherz.                            u-u-u-u-u-
Mit allen seinen Tiefen, seinen Höhen                                     u-u-u-u-u-u
Roll' ich das Leben ab vor deinem Blick.                                 u-u-u-u-u-
Wenn du das große Spiel der Welt gesehen,                          u-u-u-u-u-u
So kehrst du reicher in dich selbst zurück;                              u-u-u-u-u-
Denn, wer den Sinn aufs Ganze hält gerichtet,                       u-u-u-u-u-u
Dem ist der Streit in seiner Brust geschlichtet.                        u-u-u-u-u-u
Die Verse 5-8 zieren das Giebelfeld des Stadttheaters in Duisburg:

Stadttheater Duisburg, Giebelfeld mit Schillers Versen.
Foto + ©: Andreas Praefcke (2011); via wikimedia.commons. Liz.: CC BY 3.0
Der Verfasser dieses Versuchs ist sich sehr wohl bewusst, dass man zwar die Schiller'sche Metrik aus der "Huldigung der Künste" nachbilden kann, dass aber niemand Schillers Wortgewaltigkeit und die Tragweite seiner Worte erreichen könnte – und bittet daher um Nachsicht.
Aber nur noch für dieses Mal – denn die Serie ist hiermit zu Ende!

Sonntag, 17. November 2019

November – ein Monatsbild

Hans Thoma (1839-1924): November (Monatsbild aus dem Festkalender)
Mappenwerk, Seemann Verlag Leipzig; via wikimedia.commons; gemeinfrei.
"Im November gießen unheimliche Wettergeister
aus grauen Wolken die Fülle des Regens
auf die dunkle Erde."  [Hans Thoma]


November

Auf grauen Wolken sitzen Wettergeister.
Sie schütten auf die ausgedorrte Erde,
damit im nächsten Jahr sie fruchtbar werde,
des Regens Fülle aus: da sind sie Meister.
Ein Schauer folgt dem andern, tagelang;
Die Geister machen viele Winde munter;
das letzte Laub fällt von den Bäumen runter:
es ist fast wie ein Weltenuntergang.

Wenn diese Wichter pusten früh am Morgen
mit aufgeblähten Wangen Nebel aus,
dass nicht heraus traut sich die kleine Maus
und sich im Loch fühlt wohlig und geborgen –
dann werden kürzer des Novembers Tage,
auch weil die Sonne sich erst später zeigt
und nicht mehr hoch am Firmamente steigt.
So ist des Herbstes und des Winters Lage.

Die Nebelschwaden über Wald und Wiesen
sie zeigen deutlich: es ist Herbstes Zeit.
Natur ist für den Winter schon bereit;
die ersten Fröste haben dies bewiesen.
Der Übergang zum Herbst – er ist vollzogen;
Altweibersommer, fast vom Wind verweht.
Nicht lange mehr, eh dass der Wind sich dreht,
ist Winterzeit; das Jahr zieht seinen Bogen.

© lillii (Luzie-R)
--------------------------------------------------------------------------
Anmerkung:
Die Verse sind fünffüßige Jamben (teils übervollständige). Das Reimschema aller drei Strophen ist "abbacddc" und gleicht darin einem Strophenbau nach Art von Lenau (s. dazu unseren vorletzten Beitrag vom 11.11.2019!)

Donnerstag, 14. November 2019

Stadtlyrik/3 – nachtschwärmer (Perdita Klimeck a. G.)

Sonnenaufgang in Madrid, Stadtteil Tetuán, 19.12.2007
rechts im Bild: die geneigten Gebäude der Puerta de Europa (Europator)
Foto+©: Luis Garcia; via wikimedia commons; Liz.: CC BY-SA 2.5

nacht(schwärmer)

müde kreist der tag um autolichter
menschen werden aus dem kaufhaus ausgegossen
der verkehr wird langsam etwas dichter
das bürogebäude links wird abgeschlossen

aktentaschen klemmen unter armen
unter stöckelschuhen seufzt der asphalt lieder
neonlichter zeigen kein erbarmen
einsamkeiten spiegeln sich in ihnen wider

langsam leeren sich die grauen straßen
in den kneipen sorgt das bier für illusionen
bettler, die vorhin an ecken saßen -
ausgestoßene auf schlafplatzsuchmissionen

herrchen dreht mit hund noch eine runde
hinter fenstern pulsen blaue fernsehsender
schläge künden dumpf die geisterstunde
ein kaputtes damenrad lehnt am geländer

aus dem stadtpark hört man katzen keifen
an der haltestelle küssen sich zwei frauen
vor der roten ampel quietschen reifen
träg hebt eine eule leicht die augenbrauen

nebelschwaden wandern durch den regen
aus der schwärze sinkt das dröhnen von motoren
äste die sich leicht im wind bewegen
irgendwo wird unter schmerz ein kind geboren

und die nacht taucht ein in zwischenzeiten
hinter träumen liegt das leid der welt verborgen
während manche noch durch diese gleiten
dämmert über dächern schon der neue morgen

© Perdita Klimeck
---------------------------------------------------------------------
Anmerkung:
Als Illustration zum Gedicht unserer Gastautorin haben wir freimütig das Foto einer Morgenstunde (!) in einer europäischen Kapitale gewählt: Madrid mit Blick auf das Europator – ein beliebtes Fotomotiv im Tourismus. Die Kluft zwischen architektonischem Glanz und individueller Verlorenheit ist sehr gut zu erkennen, aber in fotografischer Hinsicht spiegelt sich etwas mehr Hoffnung als bei einem Sonnenuntergang wider – jedenfalls nach unserem Empfinden vom "versbildner".

Montag, 11. November 2019

Der Hobby-Poet stellt sich auch großen Strophen! /Bsp.: Shopping en famille/

Hablot Knight Browne al. Phiz (1815–82): Vorstadt-Jahrmarkt, ~1860,
im viktorianischen England; via wikimedia.commons; gemeinfrei.
(vorn: Verkäufer mit Kundschaft; hinten: Commedia dell'arte-Show)

Der Hobby-Poet stellt sich auch großen Strophen!

Elementares vorweg:
Schaut man sich an, was für (gereimte natürlich!) Strophen der durchschnittliche (das ist nicht diskriminierend gemeint, sonst hätte ich 08-15 geschrieben!) Hobby-Dichter verwendet, so sind das Paarreimer, einzeln, im Doppelpack oder zu größeren Absätzen verbandelt. Wenn wir üblicherweise die verschiedenen Reimsilben der beteiligten Reimwörter mit Kleinbuchstaben bezeichnen, dann sind das Versfolgen der Art: aa bb cc ~ xx yy zz, die an Varianten ebenfalls Bündelungen wie aabb cc.. ~ ..xx yyzz und vielfältige weitere beinhalten.
Die meisten wagen sich bald an die gekreuzten Reime abab cdcd ~ yzyz, die im Falle von regelmäßig abwechselnden unbetonten und betonten Endungen Wechselreime heißen.
Seltenheitswert haben aber bereits die umfassenden (= umschließenden, umarmenden) Reime abba ~ yzzy, die man ebenfalls reihen bzw. packen könnte.
Das Ende ist das noch nicht, denn das bilden unter den elementaren Konzepten des Reimens und der Strophenbildung erst die 6-zeiligen schweifenden Reime aabccb, bei denen ein dritter Paarreimer zwischen die beiden Verse des zweiten eingeschoben ist. Mit ihnen experimentiert niemand – wenn aber aabccb geht, warum schreckt man vor abbacc zurück? Oder vor aabcbc, ababcc, oder … oder …?

Reimen und Strophenbildung – in Lenau'scher Weise
Das Lehr- und Lesebuch über das Handwerkliche in der deutschen Dichtkunst von Josef Viktor Stummer stellt Gedichte vor (S. 67/68), die mit einmal frei wiederkehrenden Reimen gebildet werden. Bei ihnen wechseln gepaarte, gekreuzte und umfassende Reime beliebig – d. h. in unregelmäßiger Folge – miteinander ab.
Wie weit man damit käme? Sehr weit!
Stellen Sie sich einen 14-Zeiler dieser Art vor: ababcdcdefefgg (3 Kreuz- und ein Paarreimer).
WENN Sie bereit wären, die folgenden Zugeständnisse zu machen:
·         alle Zeilen sind übervollständige jambische 5-Heber,
·         die sich auch regelmäßig mit vollständigen 5-Hebern abwechseln dürften;
·         wobei zu einem Sachverhalt die gekreuzten Verse abab eine These aufstellen,
·         und zum gleichen Sachverhalt die gekreuzten Verse cdcd eine Antithese;
·         die gekreuzten Verse efef Ihre eigene Überlegung verkörpern,
·         also jeder Kreuzreim logisch und zwangsweise mit einem Satzende schließt
·         und der abschließende Paarreimer gg ein Fazit darstellt;
·         diese vier Teile voneinander durch Leerzeilen getrennt sind, also:
abab cdcd efef gg
DANN hätten Sie ein englisches Sonett vor sich, wie Shakespeare Hunderte schrieb!

Ein Prinzipbeispiel – Lenaus "Ahasver"
J. V. Stummer bringt als ein Beispiel den Anfang des Poems "Ahasver, der ewige Jude", das der österreichische Spätromantiker Nikolaus Lenau (1802-50) in den Jahren 1827-31 schrieb. Unter dem Link zum Gutenberg-Projekt steht der Volltext, hier sei nur noch auf eine weitere Besonderheit und Formulierungserleichterung hingewiesen:
Im Anfangsteil "ababcddc…zz" von "Ahasver" geht der erste (Kreuz)Reim in den zweiten (Umfassungs)Reim über, ohne dass der Kreuzreimer sein Satzende gefunden hätte. Auch diese Freiheit hat man also.
Und nun zu einem eigenen Beispiel: ein Gedicht aus drei 10-zeiligen Strophen.

./.

Shopping en famille
/einmal frei wiederkehrende Reime/

Was gibt es Neues in der Stadt? Mal sehn,
woher beim Neuesten die Winde wehn …
Von Menschentrauben ist der Marktplatz voll,
an jeder Bude drängen sich die Massen –
was aber finden sie denn nur so toll,
dass man kein Stück davon bekommt zu fassen?
Das lange Anstehn lässt sie richtig schmachten:
sie gieren nicht nach Kunst – sie wollen essen!
Erst wenn sie satt sind, singen sie die Messen
und würden auch noch anderes beachten.

Sie sind jetzt satt! Ihr Plan ist nicht geheim –
es ist ja nahzu jedes Mal der gleiche.
Man geht dem Kleidermann nun auf den Leim
und hofft, dass seine Auswahl allen reiche.
Verhallen muss da jeder Ruf nach Kunst:
sie steht nach Art der Lage nicht in Gunst!
Am Wühltisch herrscht dagegen großes Treiben:
Klamotten hat man massenhaft Zuhause –
wer das bestritte, wäre ein Banause,
doch gar nichts einzukaufen lässt man bleiben.

Dann auf zur Kunst! Der Weg dahin ist lang!
Teils weiß man nicht genau, was so vonnöten –
dies Minderwertigkeitsgefühl macht bang –
man möchte wegen Ramsch nicht gleich erröten.
Das Sortiment hat leider kein Niveau,
es mengt so wahllos durcheinander alle Stile
(dabei gibt’s doch von denen gar nicht viele) –
das ist nicht neu, das war schon immer so.
"Ach Kinder, haltet mich nicht für vermessen:
ich hätte Lust, zunächst etwas zu essen!"

© elbwolf (13.09.2019; durchgesehen)
---------------------------------------------------------------------
Anmerkungen:
1.    Lässt man zum besseren Vergleich die Reimung der Verse in jeder Strophe mit den gleichen Kürzeln beginnen (a – erster Reim in erster Strophe, hier in Zeilen 1+2; a – erster Reim in zweiter Strophe, hier in Zeilen 1+3 usw.), dann gilt:
in Strophe-1: aabcbcdeed; in Strophe-2: ababccdeed; in Strophe-3: ababcddcee.
2.    Rhythmisch sind die Verse jambisch 5-hebig.
3.    Die Annahme, dass in jeder Strophe alle drei reimerischen Grundformen je einmal vorkommen (was eine 10zeilige Strophe ergibt), geschah nur der Systematik wegen. Tatsächlich kann man jede Grundform eine beliebige Anzahl von Malen – oder auch gar nicht – mit den anderen zusammensetzen und das in jeder Strophe (resp. in jedem Absatz) anders handhaben.
4.    Selbstverständlich kann man eine einzige solche "Mischung" bereits als fertiges Gedicht ausgeben.
5.    Es bestehen weitere Freiheiten, wie Übergang der Grundformen ineinander ohne Satztrennung und beliebiger Umfang der Bündelungen.
Nicht vorgesehen sind mehrfach frei wiederkehrende Reime – sie führen auf besonders benannte Gedichtformen, die man auch gesondert behandeln muss.

Freitag, 8. November 2019

Töne der Natur

© Foto der Verfasserin: Natur vor meinem Haus im Münsterländischen

Töne der Natur

Begegnest Du den Tönen der Natur,
dann lausche: sie sind leicht zu überhören.
Sie klingen mal in Moll und mal in Dur –
der Vögel Zwitschern wird sie niemals stören.
Der Bäume Blätter, leicht vom Wind bewegt,
erzeugen leises Rascheln in den Zweigen;
wenn dieses Wispern Dein Gehör erregt
dann tanzen Deine Sinne einen Reigen;        
vergisst darüber Deines Lebens Bürde
und überspringst somit auch manche Hürde

© lillii (Luzie-R; 06.11.2019)
--------------------------------------------------------------------------------------
Dieses einstrophige Gedicht schrieb ich auf das Erscheinen des Beitrags meines Teamkollegen auf unserem Versbildner-Blog am 24.09.2019 hin: Schillers "Göttinnen der 7 Künste"/5: Musik. Die Strophe ist so angelegt wie dort auch und hält sich damit an die Metrik von Schillers lyrischen Musenauftritten in "Huldigung der Künste" von 1804.

Dienstag, 5. November 2019

Tagwerk und Uhrzeit – zwei Rondeaus (Teamwork)

Oswald Achenbach (1827-1905): "Ansicht von Neapel bei Sonnenuntergang".
Auktionsfoto von Sotheby's, ~1960; via wikimedia.commons; Liz.: gemeinfrei.
./.
Jeder Kenner Neapels weiß: das Bild zeigt den Blick auf den Vesuv vom Golf aus,
in Richtung Osten! Selbst damals war das doch wohl kein Sonnenuntergang!

Tagwerk

Den neuen Tag seh ich sich heben
und unser Dasein neu beleben
am Ende einer jeden Nacht.
Und hat's der Morgen dann vollbracht,
so lohnt sich auch erneutes Streben.

Wer nur will am Vergangnen kleben,
vielleicht in höhren Sphären schweben,
der hat nicht einmal angedacht –
den neuen Tag.

So ist es mit dem Erdenleben
und mit dem Tag-in-Tag-Verweben:
dass mancher andre drüber lacht,
doch auch kein andrer drüber wacht.
Wir können ihn nur selbst uns geben –
den neuen Tag.

© elbwolf, 27.10.2019


Uhrzeit

Die hundert Uhren an der Wand,
bewegen sich von Geisterhand;
die Pendel gehn auf eigne Weise:
das eine laut, das andre leise – 
und jede Uhr trägt ihr Gewand.

Sie ticken da im Zeitverband
und weil die Zeit bisher nie schwand,
sind sie zusammen auf der Reise,
die hundert Uhren

Die Zeit steht nie, in keinem Land,
es kommt nur jeder Mensch zum Rand,
beendet einmal seine Reise – 
der bleibt naiv, der da ward weise.
Drum nutze du stets mit Verstand
die hundert Uhren!

© Teamwork (Luzie-R, elbwolf 27.10.2019)


Urania-Weltzeituhr, Berlin, Alexanderplatz (aufgestellt 1969, Denkmalsschutz 2015)
Designer: Erich John; Teamarbeit von 120 Gewerken.
Foto: HerrAdams, 03.07.2014; via wikimedia.commons; Liz.: CC BY-SA 4.0
---------------------------------------------------------
Als beispielhaftes Rondeau hat Grümmer in seinem Buch 'Spielformen der Poesie' (S. 172-174) das hier am Schluss wiedergegebene Rondeau von Weckherlin gesetzt, der es zur Zeit von Opitzens Reform der deutschsprachigen Lyrik (1641) verfasst haben dürfte; es zeigt Struktur, Reimung und Rhythmik.
Rondeaus haben als charakteristisches Merkmal nur zwei Reimsilben a und b und eine nicht-mitreimende Refrainzeile (R), die mit Blick auf eine mögliche spätere Vertonung als Lied erwünscht wäre und deshalb von vornherein vorgesehen wurde. Der Refrain R ist identisch mit dem Anfang des allerersten Verses.
Das Gedicht hat insgesamt 15 Verse in 3 Strophen (oder Absätzen) und reimt so:
aabba aabR aabbaR



nach Georg Rudolf Weckherlin (1584-1653):
An die Marina (Rondeau)
/dem heutigen Deutsch angeglichen/

a: Du weißt doch, was für schweres Klagen,
a: für große Schmerzen, Sorgen, Plagen
b: mich deine Schönheit zart und rein
b: und deiner braunen Augen Schein
a: schon lange Zeit ließ nach dir fragen.

a: Wie lange müssen wirs ertragen,
a: wo Liebe beide uns geschlagen,
b: dass fehlt, was uns zupass wird sein – 
R: du weißt doch, was … 

a: Lass uns aus diesem Grund nicht zagen
a: und mir es drum auch nicht versagen,
b: mit Küssen stillen alle Pein,
b: und weil wir grade ganz allein,
a: es endlich bis zum Ende wagen – 
R: du weißt doch, was … 

© für die moderne Adaptation: elbwolf, 27.10.2019