Hier schreiben Hobbydichter für Lyrik-Freunde – meist Gereimtes und nur Druckreifes! Willkommen also, viel Vergnügen mit unseren Gedichten und deren Bebilderung!

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Bereits seit Jahresbeginn bringen wir neue Folgen an Kalenderblättern und Monatsbildern. Darum herum dann das, was sich an Einfällen so ergibt – man wird sehen! Nun ja, was man auch sieht: wir "unterschlagen" seit einer ganzen Weile auch einen gewissen Anteil an sanfter Erotik nicht länger - die Zeiten sind eben so ...

Wir teilen den Lesern unseres Versbildners mit und bitten um Verständnis, dass wir auch weiterhin das monatliche Angebot auf 6 Beiträge beschränken - die Kontaktarmut dieser Zeit bringt leider auch eine gewisse Ideenarmut mit sich. Neueinstellungen erfolgen damit um die Kalendertage des 1., 6., 11., 16./17., 21./22., 25.-27. eines Monats.

Montag, 11. November 2019

Der Hobby-Poet stellt sich auch großen Strophen! /Bsp.: Shopping en famille/

Hablot Knight Browne al. Phiz (1815–82): Vorstadt-Jahrmarkt, ~1860,
im viktorianischen England; via wikimedia.commons; gemeinfrei.
(vorn: Verkäufer mit Kundschaft; hinten: Commedia dell'arte-Show)

Der Hobby-Poet stellt sich auch großen Strophen!

Elementares vorweg:
Schaut man sich an, was für (gereimte natürlich!) Strophen der durchschnittliche (das ist nicht diskriminierend gemeint, sonst hätte ich 08-15 geschrieben!) Hobby-Dichter verwendet, so sind das Paarreimer, einzeln, im Doppelpack oder zu größeren Absätzen verbandelt. Wenn wir üblicherweise die verschiedenen Reimsilben der beteiligten Reimwörter mit Kleinbuchstaben bezeichnen, dann sind das Versfolgen der Art: aa bb cc ~ xx yy zz, die an Varianten ebenfalls Bündelungen wie aabb cc.. ~ ..xx yyzz und vielfältige weitere beinhalten.
Die meisten wagen sich bald an die gekreuzten Reime abab cdcd ~ yzyz, die im Falle von regelmäßig abwechselnden unbetonten und betonten Endungen Wechselreime heißen.
Seltenheitswert haben aber bereits die umfassenden (= umschließenden, umarmenden) Reime abba ~ yzzy, die man ebenfalls reihen bzw. packen könnte.
Das Ende ist das noch nicht, denn das bilden unter den elementaren Konzepten des Reimens und der Strophenbildung erst die 6-zeiligen schweifenden Reime aabccb, bei denen ein dritter Paarreimer zwischen die beiden Verse des zweiten eingeschoben ist. Mit ihnen experimentiert niemand – wenn aber aabccb geht, warum schreckt man vor abbacc zurück? Oder vor aabcbc, ababcc, oder … oder …?

Reimen und Strophenbildung – in Lenau'scher Weise
Das Lehr- und Lesebuch über das Handwerkliche in der deutschen Dichtkunst von Josef Viktor Stummer stellt Gedichte vor (S. 67/68), die mit einmal frei wiederkehrenden Reimen gebildet werden. Bei ihnen wechseln gepaarte, gekreuzte und umfassende Reime beliebig – d. h. in unregelmäßiger Folge – miteinander ab.
Wie weit man damit käme? Sehr weit!
Stellen Sie sich einen 14-Zeiler dieser Art vor: ababcdcdefefgg (3 Kreuz- und ein Paarreimer).
WENN Sie bereit wären, die folgenden Zugeständnisse zu machen:
·         alle Zeilen sind übervollständige jambische 5-Heber,
·         die sich auch regelmäßig mit vollständigen 5-Hebern abwechseln dürften;
·         wobei zu einem Sachverhalt die gekreuzten Verse abab eine These aufstellen,
·         und zum gleichen Sachverhalt die gekreuzten Verse cdcd eine Antithese;
·         die gekreuzten Verse efef Ihre eigene Überlegung verkörpern,
·         also jeder Kreuzreim logisch und zwangsweise mit einem Satzende schließt
·         und der abschließende Paarreimer gg ein Fazit darstellt;
·         diese vier Teile voneinander durch Leerzeilen getrennt sind, also:
abab cdcd efef gg
DANN hätten Sie ein englisches Sonett vor sich, wie Shakespeare Hunderte schrieb!

Ein Prinzipbeispiel – Lenaus "Ahasver"
J. V. Stummer bringt als ein Beispiel den Anfang des Poems "Ahasver, der ewige Jude", das der österreichische Spätromantiker Nikolaus Lenau (1802-50) in den Jahren 1827-31 schrieb. Unter dem Link zum Gutenberg-Projekt steht der Volltext, hier sei nur noch auf eine weitere Besonderheit und Formulierungserleichterung hingewiesen:
Im Anfangsteil "ababcddc…zz" von "Ahasver" geht der erste (Kreuz)Reim in den zweiten (Umfassungs)Reim über, ohne dass der Kreuzreimer sein Satzende gefunden hätte. Auch diese Freiheit hat man also.
Und nun zu einem eigenen Beispiel: ein Gedicht aus drei 10-zeiligen Strophen.

./.

Shopping en famille
/einmal frei wiederkehrende Reime/

Was gibt es Neues in der Stadt? Mal sehn,
woher beim Neuesten die Winde wehn …
Von Menschentrauben ist der Marktplatz voll,
an jeder Bude drängen sich die Massen –
was aber finden sie denn nur so toll,
dass man kein Stück davon bekommt zu fassen?
Das lange Anstehn lässt sie richtig schmachten:
sie gieren nicht nach Kunst – sie wollen essen!
Erst wenn sie satt sind, singen sie die Messen
und würden auch noch anderes beachten.

Sie sind jetzt satt! Ihr Plan ist nicht geheim –
es ist ja nahzu jedes Mal der gleiche.
Man geht dem Kleidermann nun auf den Leim
und hofft, dass seine Auswahl allen reiche.
Verhallen muss da jeder Ruf nach Kunst:
sie steht nach Art der Lage nicht in Gunst!
Am Wühltisch herrscht dagegen großes Treiben:
Klamotten hat man massenhaft Zuhause –
wer das bestritte, wäre ein Banause,
doch gar nichts einzukaufen lässt man bleiben.

Dann auf zur Kunst! Der Weg dahin ist lang!
Teils weiß man nicht genau, was so vonnöten –
dies Minderwertigkeitsgefühl macht bang –
man möchte wegen Ramsch nicht gleich erröten.
Das Sortiment hat leider kein Niveau,
es mengt so wahllos durcheinander alle Stile
(dabei gibt’s doch von denen gar nicht viele) –
das ist nicht neu, das war schon immer so.
"Ach Kinder, haltet mich nicht für vermessen:
ich hätte Lust, zunächst etwas zu essen!"

© elbwolf (13.09.2019; durchgesehen)
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Anmerkungen:
1.    Lässt man zum besseren Vergleich die Reimung der Verse in jeder Strophe mit den gleichen Kürzeln beginnen (a – erster Reim in erster Strophe, hier in Zeilen 1+2; a – erster Reim in zweiter Strophe, hier in Zeilen 1+3 usw.), dann gilt:
in Strophe-1: aabcbcdeed; in Strophe-2: ababccdeed; in Strophe-3: ababcddcee.
2.    Rhythmisch sind die Verse jambisch 5-hebig.
3.    Die Annahme, dass in jeder Strophe alle drei reimerischen Grundformen je einmal vorkommen (was eine 10zeilige Strophe ergibt), geschah nur der Systematik wegen. Tatsächlich kann man jede Grundform eine beliebige Anzahl von Malen – oder auch gar nicht – mit den anderen zusammensetzen und das in jeder Strophe (resp. in jedem Absatz) anders handhaben.
4.    Selbstverständlich kann man eine einzige solche "Mischung" bereits als fertiges Gedicht ausgeben.
5.    Es bestehen weitere Freiheiten, wie Übergang der Grundformen ineinander ohne Satztrennung und beliebiger Umfang der Bündelungen.
Nicht vorgesehen sind mehrfach frei wiederkehrende Reime – sie führen auf besonders benannte Gedichtformen, die man auch gesondert behandeln muss.

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