Notabene:
Wir wollen in dieser Serie versuchen, einzelnen der
in der Einführung aufgezählten 12 Wörter
– nach und nach vielleicht sogar allen und weiteren auch noch – jeweils ein
Gedicht zu widmen, in dem das verschwindende
(oder gar schon verschwundene)
Wort nicht bloß in der Überschrift vorkäme.
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Zwei Beispiele von "Poetenkasten" früherer Zeiten
links: fiktives post-mortem Porträt des
slowakischen Dichters Janko Král'
(1822-76) –
romantisierende Darstellung,
"wie in der westlichen Kultur ein wahrer Poet auszusehen hätte".
rechts:
der Italiener Giacomo Leopardi
(1798-1837), den die Universität Birmingham einen der radikalsten und
streitbarsten Denker des 19. Jahrhunderts nannte (Porträt von A. Ferrazzi, ~1820)
(Quelle für beides:
wikimedia.commons, Liz.: gemeinfrei)
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Verschwindende Wörter
(1) – Poetenkasten
Was kann's schon sein, so ein Poetenkasten?
Dient etwa dem Poeten er beim Fasten,
und sonst … um ungestört darin zu dichten,
zu tun, was Ruhe braucht, ums zu verrichten?
Nichts Staatliches, der Kasten, nein – zivil!
Doch ist er eingebaut? Vielleicht mobil?
Was ist, wenn Sprachgefühl uns gänzlich trügt,
weil jeder über dieses Ding verfügt?
Gemeint ist in der Tat vom eignen Kopf
das Hinterteil, von dem einst hing der Zopf.
Bei Schlauen ist dort installiert der Grips;
wer aber keinen hat, füllt auf mit Gips.
Seid stolz auf das Metier, ihr Verseschreiber,
was ihr so dichtet – nichts für Sitzenbleiber.
Mit "richtig was auf dem Poetenkasten"
kann einen nie ein Un-Gedicht belasten.
Das "Hinterstübchen" (und nicht das Gesicht)
gibt Vers allein und Rhythmus das Gewicht.
Nicht rosten also, weil zu viel wir rasten
und dann zu wenig hätten auf dem Kasten!
elbwolf (2.5.2017,
durchgesehen)
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Nachgehakt:
Schon Johann Christoph
Adelung nahm in sein "Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen
Mundart" (Band 3; Leipzig 1798, S. 799) den Begriff auf:
Poetenkasten (des -s, plur.
ut nom. sing.) im gemeinen Scherze, der Hintertheil des Kopfes,
besonders wenn er eine vorzügliche Erhöhung hat.
Die spätere Umgangssprache hat
ihn dann um etwa 1920 durch den knappen, kompakten, allgemeineren Begriff Kasten ersetzt – bei Küppers im "Wörterbuch
der deutschen Umgangssprache" (digitalisiert bei Directmedia, Dig. Bibliothek Bd. 36) sind es
die Nummern 32 und 33 unter 46 Bedeutungen insgesamt.
Als Grund für das
Verschwinden wird genannt, dass Scherz- wie Schimpfwörter sich bei häufigem
Gebrauch leicht abnutzen – und der Poetenkasten zähle eben dazu. Andererseits: wird
aber bis heute am "Hinterstübchen"
eisern festgehalten!
Man kann es sich allerdings
kaum verkneifen zu bemerken, dass es früher
eben eins war: etwas auf dem "Kasten", will sagen, auf dem "Poetenkasten"
zu haben und folglich Verse
schreiben zu können; heute dagegen –
wer kann da schon – selbst wenn er was auf dem Kasten hat, noch Verse …
einleuchtend!