Notabene:
Wir wollen in dieser Serie versuchen, einzelnen der
in der Einführung aufgezählten 12 Wörter
– nach und nach vielleicht sogar allen und weiteren auch noch – jeweils ein
Gedicht zu widmen, in dem das verschwindende
(oder gar schon verschwundene) Wort
nicht bloß in der Überschrift vorkäme.
|
Carl Spitzweg (1808 –1885): Der
Institutsspaziergang, ~1860
Quelle: www.zeno.org/nid/20004305957;
Standort: München, Neue Pinakothek; Gemeinfrei
|
|
Carl Spitzweg (1808 –1885): Der
Gutsherr (Der Hagestolz), ~1847/49
Quelle: www.zeno.org/nid/2000430523X;
Privatbesitz; Liz.: Gemeinfrei
|
Verschwindende Wörter
(4+5) – Backfisch + Hagestolz
In manchem luxuriösen Bade
Begab man sich auf Promenade,
Denn sehen und gesehen werden
War fast das Wichtigste auf Erden.
Man stellte sich der Welt zur Schau,
geschmückt und prahlend wie ein Pfau,
und nebenher, im Backfischalter,
die Tochter, dieser zarte Falter.
Und dann der reiche Hagestolz –
Schon knorrig, wie getrocknet' Holz,
Dem ward das Mädchen präsentiert,
sogar Verlobung inszeniert.
Das war das Ziel der Sommerfrische.
Zufrieden saß man spät bei Tische,
trank einen ausgesuchten Wein.
Der Backfisch schlief mit Tränen ein.
© immergrün (A.W., 3.5.2017)
-----------------------------------------------------------------------
Nachgehakt:
Laut Küppers' "Wörterbuch der deutschen
Umgangssprache" (digitalisiert bei
Directmedia, Dig. Bibliothek Bd. 36) bezeichnet man mit "Backfisch" (trotz »Teenager« auch heute noch!) das Mädchen
in den Entwicklungsjahren – es ist eigentlich der Fisch, den man nicht kochen,
sondern nur backen kann. Ab 1900 bedeutete "auf Backfisch machen"
sich jugendlicher kleiden als dem Lebensalter entsprechend; "Backfischaquarium"
war ein Mädchengymnasium oder -pensionat; im Zuge der Emanzipation erweiterte
sich die Bedeutung dann ab 1950 auf ein Wohnheim für ledige Mädchen.
Den "Hagestolz"
nennt dagegen schon Johann Christoph Adelung's "Grammatisch-kritisches
Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart" (Band 3; Leipzig 1798) ein sehr
altes Wort, seinem Ursprunge nach aber dunkel: "ein alter Junggesell, eine
Person männlichen Geschlechtes, welche funfzig Jahre alt ist und noch nicht
geheirathet hat, da sie doch könnte". Knapper ist der Brockhaus von 1911: "eigentlich
der auf einem Nebengut [hag] sitzende jüngere Sohn; dann so viel wie alter Junggeselle".
Auf die Idee, die alten Wörterbücher zu Herkunft und Bedeutung dieser Beispielswörter heranzuziehen, sind wir im Team erst reichlich spät gekommen. Und da stellt es sich eben heraus, dass Backfische wohl noch zu jung für Verlobungen gewesen wären. Und der jüngere Bruder des ältesten Sohnes und Erben des Gutes saß eben nur auf einem Nebenhof, dem Hag, und hatte dort zu wenig Einkünfte, um eine eigene Familie standesgemäß zu unterhalten. Aber sehnsüchtig nach den Backfischen geschaut hat er - das hast Du Dir bestimmt richtig vorgestellt, liebes Immergrün!
AntwortenLöschenGlückwünsch, dass Du beide Wörter in einem Gedicht verwoben hast!
elbwolf