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Bereits seit Jahresbeginn bringen wir neue Folgen an Kalenderblättern und Monatsbildern. Darum herum dann das, was sich an Einfällen so ergibt – man wird sehen! Nun ja, was man auch sieht: wir "unterschlagen" seit einer ganzen Weile auch einen gewissen Anteil an sanfter Erotik nicht länger - die Zeiten sind eben so ...

Wir teilen den Lesern unseres Versbildners mit und bitten um Verständnis, dass wir auch weiterhin das monatliche Angebot auf 6 Beiträge beschränken - die Kontaktarmut dieser Zeit bringt leider auch eine gewisse Ideenarmut mit sich. Neueinstellungen erfolgen damit um die Kalendertage des 1., 6., 11., 16./17., 21./22., 25.-27. eines Monats.

Samstag, 9. Februar 2019

Die Fatrasie & der Fatras (Teamwork)

Jean-Léon Gérôme (1824-1904): Diogenes von Sinope (404-323 v.u.Z); Gemälde von 1860.
Standort: Walters Art Museum, Baltimore; via wikimedia.commons; Public domain (~ to OTRS)
Notabene
zunächst eine Wiederholung des einleitenden Absatzes aus dem vorherigen Beitrag
Die Fatrasie wurde schon im 13. Jh. von den Franzosen als Nonsens-Lyrik kreiert, erhielt bald im Fatras eine Erweiterung (der wir unten unser volles Augenmerk widmen), wurde nie ganz vergessen und erfährt heutzutage so etwas wie eine Neubelebung.
Sie ist ein 11-zeiliges Gedicht, das in zwei ungleiche Absätze (keine eigentlichen Strophen also) geteilt ist, durchgängig mit nur zwei Reimsilben (a, b) auskommt und diesem Reimschema folgt:
aabaab   babab
Zur a-Reimsilbe werden also 4+2 Reimwörter, zur b-Reimsilbe 2+3 Reimwörter gebraucht – eine Erschwernis, der ein Amateur-Poet wohl nur mit einem guten Reimlexikon gewachsen ist.
Außerdem wird verlangt, dass im Anfangs-Absatz die Verse kurz sind (nur 5-Silber), im Schluss-Absatz länger (5-7-Silber; Standard: 7). Die Rhythmik selbst scheint freigestellt, wobei Regelmäßigkeit einem Gedicht meistens guttut. Die kürzeren Verse haben daher 2 oder 3 Hebungen, die längeren des Schlussteils 3 oder 4 – was Verfassern entgegenkommt, denen die Metrik "nicht liegt". Wir verdeutlichen das bei unseren heutigen beiden Hauptbeispielen dadurch, dass wir ausnahmsweise zu den Versen das volle "Kodierungsschema" angeben.
Inhaltlich müssen heutige Fatrasie und Fatras durchaus kein Klamauk sein, aber auch nicht von jener obszön-skatologischen Art, wie einst üblich. Schon ab 15. Jh. wurde unterschieden zwischen "unmöglichen", irrationalen Fatrasien/Fatras und "möglichen", die sogar religiös-erbauliche Inhalte aufwiesen.
Die Literaturwissenschaft vermutet in Fatrasie/Fatras eine der Wurzeln der modernen Dichtung und der absurden Literatur.

Als Überleitung zum Fatras seien noch ein einmal die beiden Fatrasien-Beispiele aus dem vorhergehenden Beitrag angedeutet:

Spiele verfolgen Ziele
Diogenes in der Tonne
Gewisse Spiele                     
sind kleine Ziele                     
…                                           

…                                           
nur hängen und erbeben -      
's erfordert manche Schwiele.
                                   /@lillii/ 
a: u-u-u    
a: u-u-u   
b: …        

b:  …       
a: u-u-u-u
b: u-u-u-u
Im Schutz der Tonne,            
erfüllt von Wonne –               
…                                        

…                                        
 marschiert man in Kolonne. 
 Alles – nur nicht ferngelenkt! 
                          /@elbwolf/
a: u-u-u
a: u-u-u
b: …

b: …
a: u-u-u-u
b: -u-u-u-

Und damit zum Fatras
:
Am einfachsten ist, sich vorzustellen (und am schwierigsten es zu machen!), dass ein Fatras aus einer Fatrasie entsteht, wenn man deren ersten a-Vers (Vers-1) mit ihrem  letzten b-Vers (Vers-11) ohne Änderungen zusammenfügt und dieses (natürlich nicht-reimende) Verspaar (= Distichon) den sonst unveränderten 11-Zeilen noch einmal wie ein "Start-Up" voranstellt.
Ausgerechnet von diesem Distichon wird nun Sinnfälligkeit verlangt, während man vom Vers-2 bis zum Vers-10 des "inneren Teils" der ursprünglich eigenständigen Fatrasie beliebigen Nonsens hinschreiben dürfte.

Es ist sofort einzusehen, dass man keine der beiden obigen Fatrasien zu Fatras aufwerten kann, denn die fraglichen Distichen wären einfach unverständlich, wären Quatsch, also Nonsens²:

Gewisse Spiele                     
's erfordert manche Schwiele.
A: u-u-u  
B: u-u-u-u
Im Schutz der Tonne             
 alles – nur nicht ferngelenkt! 
A: u-u-u
B: -u-u-u-

Und tatsächlich beginnt man ein Fatras durch Hinschreiben eines sinnvollen Distichon, zwischen dessen beide Zeilen man nach dem Reimschema und den Verslängen-Vorschriften eine Versfolge einbaut, die vom A-Vers zum B-Vers führt, auf welchen verschlungenen Ideen und Gedankengängen auch immer. Sehr oft  parodiert dieser Inhalt das verneweg stehende Distichon.
Die Reimfolge für einen  Fatras als Ganzes gibt man übrigens in der folgenden Form an, bei der A, a und B, b jeweils die lautmäßig gleiche Reimsilbe bedeuten:
AB   Aabaab   babaB
Die Diogenes-Fatrasie lautet, umgeschriebenen zum Fatras Version 2.0:

Diogenes in der Tonne 2.0
In einer Tonne                                
fühlte man sich eingezwängt.      

In einer Tonne                                
sitzt voller Wonne                          
Diógenes; denkt:                            
brauch weder Sonne                    
noch eine Bonne                           
und nichts, was mich drängt!       

Wer ins Grübeln sich versenkt,   
marschiert nicht in Kolonne,        
die ihn rundum nur beschränkt.
Bis wohl nur auf die Nonne         
fühlte man sich eingezwängt.      
A: -uu-u
B: -u-u-u-

A: -uu-u
a: -uu-u
b: u-uu-
a: -uu-u
a: -uu-u
b: u-uu-

b: -u-u-u-
a: u-u-u-u
b: -u-u-u-
a: -u-uu-u
B: -u-u-u-

Als zweites Beispiel dient der vermeintliche Goethe-Spruch von neulich:

Geist und Natur
Es wandelt Natur                
richtig sinnlich – voller Geist.

Es wandelt Natur                
vor allem zur Kur                
auf Abwegen meist.           
Wer das je erfuhr               
sah nicht auf die Uhr         
ist lieber entgleist.              

Ist Natur zudem noch dreist,
mag sie es vor allem pur:  
Wem sie jemals das verheißt,
mit dem geht sie in die Spur,
richtig sinnlich – voller Geist.
A: u-uu-
B: -u-u-u-

A: u-uu-
a: u-uu-
b: u-uu-
a: u-uu-
a. u-uu-
b: u-uu-

b: -u-u-u-
a: -u-u-u-
b: -u-u-u-
a: -u-u-u-
B: -u-u-u-

© elbwolf (03.02.2019)
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PS: "Liebhaber" dürften schnell Möglichkeiten finden, diesen Text als Vorlange für erheblich "pikantere" Varianten zu nehmen – wofür mir hier ja der Platz fehlt …
./.
Die Spiele-Fatrasie lautet, umgeschriebenen zum Fatras Version 2.0:

Spiele verfolgen Ziele 2.0
Lust an den Spielen –
bis der Spaß sich ausgelebt.           

Lust an den Spielen,
die stets gefielen
und die man erstrebt?
Da brauchts kein Dealen
oder Sichsielen –
so schnell wird erlebt.

Anfangs wird ein Plan gewebt,
bis man weiß, auf was zielen.
Wenn die Stimmung sich dann hebt,
wird die Lust zur skurrilen –
bis der Spaß sich ausgelebt.
A: -uu-u
B: -u-u-u-

A: -uu-u
a: -uu-u
b: u-uu-
a: u-u-u
a: -uu-u
b: u-uu-

b: -u-u-u-
a: -u-u--u
b: -u-u-u-
a: -u--u-u
B: -u-u-u-


© lillii (Luzie-R., 05.02.2019)

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