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Foto Dan Carp: Sunrise Lovers (07.05.2018)
via Wikimedia Commons; Liz.: CC BY-SA 4.0
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Zum Dichter und seinen Versen:
Das originale Sonett "Por Decoro" ist ein
Jugendwerk des späteren brasilianischen Dramatikers, Journalisten,
Kurzgeschichtenschreibers und Dichters Artur Azevedo (1855-1908). Er veröffentlichte
es mit 21 Jahren in seinem Bändchen "Sonetos". Danach ging es
offenbar nur noch in die Anthologie "Einhundert der besten brasilianischen
Sonette" ein (1951, 3. Aufl.), die kaum bis nach Europa gelangte Und
das, obwohl es mit dem portugiesischen Nationaldichter Luís de
Camões (1524-79) das Vorbild eines herausragenden Sonettschreibers in dieser
Sprachgruppe gibt (Ibü 264). Und dann, weil Azevedo zu den 40 Gründern
der 1897 ins Leben gerufenen ABL (Academia Brasileira de Letras) gehörte,
die sich die Académie française zum Vorbild nahm und heute als höchste
Instanz für das brasilianische Portugiesisch gilt.
Azevedos Sonett ist intim und romantisch zugleich. Der Dichter rät seiner
Geliebten für den Fall, sie könne auch in der Öffentlichkeit ihre Gefühle für
ihn nicht im Zaum halten, doch wenigstens die Augen zu verbergen – hinter einem Rebenblatt ...
Die Probleme einer Übertragung fremdsprachiger Lyrik beginnen oft mit den Titeln … wie hier auch. Um den deutschen Leser nicht zu verblüffen, steht hier nicht "Als Dekor/Dekoration" oder populär "Tun als ob", sondern das, was der Dichter wirklich gemeint hat: "Nur zum Schein". Azevedos Reimschema "abba abba cde cde" (mit der schwächsten Reimung in den Terzetten – jeweils erst in der dritten Folgezeile!) bleibt erhalten. Dagegen ist der trochäische Rhythmus auf die seinerzeit für Sonette in Deutsch schon eingeforderten fünffüßigen Jamben umgestellt.
Nur zum Schein
Wenn vor Erwartung du schon bebst, mein Leben,
mir deine Lippen bietest, feucht und prall,
dein warmer Leib verströmt in vollem Schwall
die Düfte fremder Blüten – macht mich schweben;
wenn Seufzer deine Leidenschaft erheben,
die du nicht mehr verbirgst durch einen Wall,
wenn Satyrs Küsse finden Widerhall
und Rosen ihres Purpurs sich begeben;
und deine Augen ausdruckslos erscheinen,
nur träge, ruhig, einen Spaltbreit offen,
wenn alles dies, mein Lieb, du zeigen wolltest
vor Leuten. Würden die noch Gutes meinen?
Nur falls die Augen du – verzeih! will's hoffen –
diskret mit einem Weinblatt decken solltest.
© W. Herrmann (10.06.2021), für die freie
Übertragung aus dem brasilianischen Portugiesisch
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Links:
Die Biografie des Dichters Das Sonett
Por Decoro
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