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Mittwoch, 26. Juni 2019

Paarreimer – wofür sie gut sind (2 Lehrgedichte)

Straßenkreuzung "Briller Kreuz", Wuppertal
Foto&©: Atamari, 14.04.2007; via wikimedia; Liz.: CC BY 3.0
Dem Gelegenheitsdichter – vor allem in der "Start-up-Phase", wenn man eigentlich investieren müsste – fehlt meist die/jede Einsicht, dass gestandene Verslehren ihm das Entstehen (s)eines Gedichtes in dieser Reihenfolge nahelegen:
(1) konzipieren (Umfang vs. Details und deren Abfolge),
(2) rhythmisieren
(3) und dann erst: verreimen (oder freie Verse wählen).
Er hält es so, dass ihn der große Spötter G. Chr. Lichtenberg (1742-99) auch heute noch auf die Schippe nähme: "Die Leute, die den Reim für das wichtigste in der Poesie halten, sie betrachten die Verse wie Ochsen-Käufer von hinten".

Eine Möglichkeit, nach (1) wenigstens (2) + (3) gemeinsam anzugehen, stellt der Paarreimer aus gereimten Versen mit "schwingendem Rhythmus" *) dar.
Damit sind Verse gemeint, die im Rahmen eines Gedichtes entweder nur aus Versfüßen "u-" (Jamben) oder aus "-u" (Trochäen) gebaut sind. Sie dürfen sich zur  Vermeidung von Eintönigkeit aber darin unterscheiden, dass ein z. B. 5-füßiger jambischer Vers 10 ODER 11 (= übervollständig) Silben haben kann, ein 5-füßiger trochäischer Vers aber 10 ODER 9 (= unvollständig) Silben hat.
Hier kommt es uns NUR auf den Rhythmus über die ganze Länge eines Verses an, und der setzt mit "u" oder "-" im 1. Vers der 1. Strophe (!!!) ein, prägt aber das ganze Gedicht. In sämtlichen Versen setzen alle Verse gleich ein und wechseln sich in ihrem Betonungsverhalten ständig und fortlaufend über den ganzen Vers hinweg ab – sie "schwingen"!

Zwei Beispiele für Paarreimer im schwingenden Rhythmus; ihre inhaltlichen Aussagen finden sich in den abschließenden Lehrbeispielen wieder:

Er kommt in sein Lokal hereinspaziert  
und hört, er werde umgehend platziert.
u-u-u-u-u-
u-u-u-u-u-

Kreuzung gleichberechtigter vier Seiten
kann recht argen Kopfschmerz dir bereiten.
-u-u-u-u-u
-u-u-u-u-u


Solche Paarreimer kann man "reihen", also hintereinander schreiben, aber jedes Paar sollte einen abgeschlossenen Gedanken beinhalten und NICHT im folgenden Paarreimer weitergeführt werden.
Praktisch folgt daraus, dass ein Gedicht ENTWEDER aus beliebig vielen, aber einzeln paargereimten Zweizeilern besteht ODER aus beliebig vielen Paarreimern, die als ein Haufen aufeinander folgen (es gibt Autoren, die bis zu 100 Paarreimer "anhäufen". Man kann auch mehrere und unterschiedlich lange Haufen zum Gedicht zusammenschließen, wie es im zweiten Beispiel versucht wird.

Speisekarte (Lehrgedicht, jambische Paarreimer) **)

Der Sapiens kocht nicht, er geht einfach essen
und darf daher das Trinkgeld nicht vergessen!

Er kommt in sein Lokal hereinspaziert
und hört, er werde umgehend platziert.

So sitzt er zwar recht schnell auf einem Platz,
doch mit Bedienung geht es nie ratz-fatz.

Die Speisekarte liest er rauf und runter:
die wird an Blumigkeit auch immer bunter.

Warum lässt man Kartoffeln völlig weg,
und brät statt Bauernfrühstück Ei mit Speck?

Ein Eisbein nur mit Rettich, statt mit Kraut,
ist auch nicht das, was man begeistert kaut …

Die "Soße AN den Böhnchen" – das will meinen,
dass keine Bohnen DURCH die Soße scheinen.

Und endlich "Früchte aus dem Mittelmeer" –
wo schon die Medien warnen vor Verzehr.

Da würde Sapiens ja das Bier noch schal,
so lange dauerte die Speisenwahl!

Für heute gibt es drum nur mal ein Schnäpschen,
für die Bedienung – das gewohnte Kläpschen.
u-u-u-u-u-u
u-u-u-u-u-u

u-u-u-u-u-
u-u-u-u-u-

u-u-u-u-u-
u-u-u-u-u-

u-u-u-u-u-u
u-u-u-u-u-u

u-u-u-u-u-
u-u-u-u-u-

u-u-u-u-u-
u-u-u-u-u-

u-u-u-u-u-u
u-u-u-u-u-u

u-u-u-u-u-
u-u-u-u-u-

u-u-u-u-u-
u-u-u-u-u-

u-u-u-u-u-u
u-u-u-u-u-u


An der Kreuzung kreuzt sich der Verkehr –
Anlass gibt das zu so manchem her!

Kommst du an die Kreuzung, siehst du bald
vor dir einen ganzen Schilderwald.
Ziemlich einfach ist Verkehr im Kreise
nur die Einfahrt fordert Handlungsweise.
Denn der Kreisel ist ein guter Leiter:
bist du drinnen, fährst du richtig weiter.

Kreuzen Haupt- und Nebenstraße sich,
wird es ohne Ampel ärgerlich.
Biegst du gar zur rechten Seite ab,
schaufle nicht dem Radfahrer ein Grab!

Kreuzung gleichberechtigter vier Seiten
kann recht argen Kopfschmerz dir bereiten.
Freie Fahrt scheint dir an diesem Knoten –
höchste Vorsicht wär vielmehr geboten.
Gibst noch einmal Gas – da kommt von rechts
noch so eine Karre mit Gekrächz.
Eh man's glaubt, sind alle Seiten dicht:
jeder schimpft den andern "Bösewicht".
-u-u-u-u-
-u-u-u-u-

-u-u-u-u-
-u-u-u-u-
-u-u-u-u-u
-u-u-u-u-u
-u-u-u-u-u
-u-u-u-u-u

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-u-u-u-u-
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-u-u-u-u-u
-u-u-u-u-u
-u-u-u-u-u
-u-u-u-u-u
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-u-u-u-u-
-u-u-u-u-
-u-u-u-u-

© elbwolf, 26.06.2019
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*) Dieser Begriff "schwingender Vers" steht in keiner Verslehre; mir aber hat er anfangs geholfen, ihn klar von anderen Rhythmusarten unterscheiden zu lernen.

**) Beide Beispiele entstanden auf Anregung durch Paarreimer in einer parodistisch geprägten Vorlage: "Das letzte Mahl mit der Geliebten", Hrsg. Rainer Kirsch, Manfred Wolter im Eulenspiegel Verlag, 1975;

-       -                 Speisekarte nach S. 113: Richard Leising, "homo sapiens":
         "Der Mensch lebt nicht von Brot allein
          Er will auch sein Rettich und Eisbein.     (skurril gereimt & rhythmisiert!)

-      -                Kreuzverkehr nach S. 124: Wolfgang Tilgner, "Reiseerinnerungen eines Normalbürgers":
         "also frage ich euch dreist
         wozu ist man weltgereist?"                      
(sarkastisch abgehandelt)

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