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Mittwoch, 22. Januar 2020

Korsisches Klagelied - nach Gregorovius

Jacques-Louis David (1748-1825): Die letzten Augenblicke des Michel Lepeletier.
Gestochen von Pierre Alexander Tardieu (1793; Detail);
via wikimedia.commons; gemeinfrei.

Legende
Bei einer Reisevorbereitung geriet mir das Merianheft über Korsika (2/1980) in die Hände. Dort fand ich ein vom deutschen Schriftsteller und Historiker Ferdinand Gregorovius (1821-91) mitgeteiltes korsisches Klagelied.
Gregorovius hatte 1852/53 drei Monate lang die Insel durchwandert und seine Eindrücke 1854 in einer zweibändigen Ausgabe "Corsica" beschrieben. Damals gab es noch die Vendetta, die Blutrache für erlittene Beleidigung der Ehre oder der Familie. Eigenartigerweise stachelten die weiblichen Familienmitglieder ihre Ehemänner, Brüder oder Söhne an, solche Unbill nicht auf sich sitzen zu lassen – und schon war ein nicht enden wollender Kreislauf in Bewegung gesetzt. Dafür beweinten sie aber auch jeden heftig, der um sein Leben gekommenen war.

Ein solches – noch an die Antike gemahnendes – Klagelied nach gewaltsam erlittenem Tod hieß Vôcero – im Unterschied zum Lamento nach natürlichem Tod. Gregorovius notierte sich in den insgesamt 8 verschiedenen Dialektgebieten Korsikas eine Reihe Vôcero und nahm sie auch in sein Buch auf.
Das hier von mir wiedergegebene Vôcero widerstand anfangs meinem Verständnis, so dass ich mich länger mit ihm auseinandersetzte. Da ja Gregorovius selber beim Sammeln der Lieder diese nach eigenem Ermessen nachgedichtet haben musste, hielt ich es für statthaft, dem heutigen Informationsbedürfnis noch ein wenig mehr entgegenzukommen und deutlicher die verwandtschaftlichen Beziehungen und Erwartungen auszudrücken.


Korsisches Klagelied – nach Ferdinand Gregorovius
– Vôcero –
Klagelied im Dialekt von Niolo der Maria Felice von Calacuccia
auf den gewaltsamen Tod des letzten oder einzigen Bruders

Als ich spann an meiner Spindel,
Hörte ich's wie Donner schallen:
War der Schuss aus einer Flinte;
Tat im Herz mir widerhallen,
Schien mir doch, als ob er riefe:
Lauf, dein Bruder ist gefallen.

In die Kammer schnell gesprungen,
An das Fenster, das stand offen.
Hab' ins Herz den Schuss empfangen,
Schrie: er fiel zu Tod getroffen.
Selbst bin ich nicht auch gestorben
Um des einen, einzig Hoffen:

Muss mir eine Waffe kaufen,
Will in Hosen mich verkleiden,
Zeigen will ich nun dein Bluthemd.
Bleibt mir doch zu diesem Leiden
Niemand mehr, der seinen Bart sich
Nach der Rache könnte schneiden

Sprich, wen würdest du dir wählen,
Die Vendetta zu erwerben?
Deine Mutter? Liegt zu Tode;
Schwester Mari will sie erben,
liegt ihr Bruder doch im Grabe:
Der soll ohne Blut nicht sterben.

Nichts blieb dir von deinem Stamme
Als die Schwester, diese eine,
Keine Vettern gleichen Blutes,
Nur die Waise, sie alleine –
Zu vollziehen die Vendetta
Ist sie besser noch als keine.

elbwolf (18.01.2020)
(für metrische Ausrichtung und besseres Verständnis
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Legende zu einem Vorgang historisch-politischer Blutrache:
Als Lepeletier, der am 17. Januar 1793 für die Hinrichtung Ludwig XVI gestimmt hatte, drei Tage darauf in seinem Stammrestaurant zu Abend aß, stach ihn ein ehemaliger Soldat der königlichen Leibgarde für die Zustimmung zur Hinrichtung des Königs nieder. Lepeletier verstarb kurz darauf. Als Erstem gewährte ihm der Nationalkonvent ein Staatsbegräbnis im Pantheon. Robespierre forderte in einer Rede: "Die Mörder Marats und Lepeletiers müssen ihre schrecklichen Verbrechen sühnen, … müssen mit ihrem Blut für das Blut unserer Brüder zahlen …"
Im Auftrag des Konvents malte David zwei Bilder, die die Ermordung von Marat und von Lepeletier als zweier Helden der Revolution stilisierten. Nach dem Sturz Robespierres ein Jahr später wurde Lepeletier aus dem Pantheon entfernt, das ihm gewidmete David-Bild vernichtet. Erhalten ist nur dieser Stich von Tardieu nach dem Gemälde. 
Zum engerem Motiv der Blutrache fand sich sonst selbst andeutungsweise kein Bild.

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