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Montag, 17. September 2018

Der Jungspund (Vagantenverse; Heliane Meyer a. G.)

Johann Heinrich Wilhelm Tischbein (1751-1829): Aquarell;
"Goethe am Fenster seiner römischen Wohnung" (1787);
Standort: Frankfurter Goethe-Museum; Foto: JoJan, 8.10. 2013; Liz. CC BY-SA 3.
 
Der Jungspund

Sehe ihn am Fenster stehn,
ungehübscht, gelassen.
Frage mich, was kann er sehn?
Eng sind Römergassen.

Wer vermutet bei dem Spund
jenen eitlen Dichter?
Hier, in früher Morgenstund,
wirkt er etwas schlichter:

Beutelhosen, Schlabberhemd,
Puschen an den Füßen,
Haare wild und ungekämmt
lässt jung Goethe grüßen.

Schreibt er eine Elegie
voller Sturm und Drängen?
Reich an schöner Harmonie,
spannend, ohne Längen?

Wünscht er sich ein Stelldichein?
Leer ist seine Kammer.
Träumt er von der Frau von Stein?
Sie ist weit, welch Jammer.

Ach, es zeigt der Dichterzar
nur den hübschen Rücken;
aber der kann mich fürwahr
grenzenlos entzücken ...

© Heliane Meyer
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Anmerkung:
"Der Jungspund" ist in Anlehnung an die Vagantenstrophe der lateinischen Lyrik des Hochmittelalters geschrieben, die in der Volkslieddichtung und der volksliedhaften Lyrik verwendet wurde und seit dem 12./13. Jh. mit den Vaganten in Verbindung gebracht worden ist. Noch neuzeitliche Studentenlieder (wie das "Gaudeamus igitur") gehen auf Vagantenverse  zurück.
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Legende zu den Vagantenversen:
Vagantenverse hießen zunächst die 7-füßigen Langverse (Septenare) selbst, die aus "Anvers" und "Abvers" bestanden. Je zwei Septenare bildeten im Paar eine Vagantenstrophe. An- und Abvers jeder Verszeile wurden (1) mit deutlicher Sprech-Pause zusammengefügt ("Diärese" genannt; bezeichnet mit "||"); konnten (2) beide entweder trochäisch oder jambisch sein und hatten (3) als Reimpaar zunächst nur in den Abversen einen Endreim (symbolisch "b"):
.           troch.:  -u-u-u-|| b:-u-u-u             (3 vollst. +1 unvollst. || 3 vollst. = 7 Versfüße → 13 Silben)
.           jamb.:   u-u-u-u-|| b:u-u-u-u        (4 vollst. || 2 vollst. +1 übervollst. = 7 Versfüße → 15 Silben)


Später wurden die Langverse (4) an der Diärese-Stelle geteilt und zweizeilig angeschrieben; ihre Anvers-Zeilen konnten (5) ungereimt bleiben oder eigene Endreimung (symbolisch "a") bekommen. Im letzteren Fall (6) war der aus dem früheren Reimpaar entstandene Vierzeiler dann kreuzgereimt:
.           trochäisch:      a: -u-u-u-||                      jambisch:       a: u-u-u-u-||      
.                                   b: -u-u-u                                               b: u-u-u-u         
.                                   a: -u-u-u||                                             a: u-u-u-u-||      
.                                   b: -u-u-u                                               b: u-u-u-u          

Anm.:
Mit "||" wird allgemein eine "Di(h)ärese" bezeichnet, d. h. ein Einschnitt im Vers, an dem die Enden eines Wortes und des Versfußes zusammenfallen
.

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