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Moritz von Schwind (1804-71): Der Ritt Kunos
von Falkenstein (1850-60) *)
Leipzig, Museum der bildenden Künste; via The
Yorck Project Nr.8948; gemeinfrei.
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Moritat
von der Gräfin und ihrem Ritter **)
# mit Ghasel-Strophen nacherzählt #
/Ursprungsvariante: Parodie in mutwillig-drastischer Reimung; ***)
Ansbacher Morgenblatt Nr.44 von 1847; Autor: Reritz./
1
Die Gräfin schaut schon lange aus des Burgfrieds Scharte:
sie sucht am Horizont nach einer Feldstandarte,
denn unablässig stellt der Frau sich diese Frage,
ob nicht vielleicht der heiß geliebte Mann sie narrte,
und draußen gar nicht nur als tapfrer Ritter kämpfe –
der Mann, den selber sie mit Ungeduld erwarte.
2
Sie hört ganz deutlich das Gezirp des Heuschrecks schrillen;
empfindet Sehnsucht, ihre Leidenschaft zu stillen.
Ach käme er nur heil zurück aus seinen Kämpfen,
sie wäre ihm mit Leib und Seele ganz zu Willen.
Nur nicht an ihre Stelle eine andre setzen –
dann möge auf dem Rost ihn der Gehörnte grillen!
3
Die Frau beginnt sich ihrem Gram zu überlassen,
auch wurden alle Taschentücher längst zu nassen …
Da sieht sie im Vorüberlaufen etwas liegen –
die alte Flinte! Prompt kriegt sie die jetzt zu fassen,
legt an und schießt sich auf der Stelle über'n Haufen.
Da lag sie nun, um unverzüglich zu verblassen.
4
Kaum war der Gräfin Selbstentleibung so geschehen,
sieht man am Horizont des Ritters Fähnlein wehen.
Schon sprengt den Burgberg er herauf zur Brücken
erklimmt den Söller – doch welch Unglück muss er sehen?
Er stampft verzweifelt auf mit seinen Reiterstiefeln
beim Anblick ihrer Leiche – er kann's nicht verstehen.
5
Was hilft es, mit der Rüstung und den Spor'n zu klirren?
Das dient dazu, den Mann nur weiter zu verwirren.
Warum hat bloß der Mut die Gräfin jäh verlassen,
beginnt es ihm durch sein zermartert Hirn zu schwirren
Noch einen Augenblick – er hätte ihr gewunken,
sie würde jetzt entzücken ihn mit ihrem Girren.
6
Sein Auge blitzt und dann entreißt er wild-verwegen
der Scheide am Gehänge seinen Ritterdegen;
den schwingt er heftig, stößt die wohlgeschärfte Spitze
sich in die Brust – verscheidet, und das ohne Segen.
Das Schicksal hat sie beide erst vereint im Tode:
den starb sie seinet-, er darauf nun ihretwegen.
7 (Moral)
Ist unklar eine Lage – mach um sie den Bogen!
In Eile und mit Vorurteil wird nichts erwogen,
Den Degen und die Flinte lasse ganz beiseite:
sie bringen Gutes nicht – du bist doch gut erzogen.
Am eigenen Geschick darfst niemals du verzweifeln,
sonst schaufelst du dein eignes Grab – ist nicht gelogen!
© elbwolf /für die Nacherzählung; 04.09.2019/
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Meine eigene Fassung von "Gräfin und Ritter" habe ich erst entworfen
und ausgeführt, als die komplizierte Rückverfolgung der ursprünglichen Gedichtidee bis zur
Quelle aufgeklärt und der Urheber ermittelt war. Die Schritte dieser Recherche sind
im Beitrag hier unmittelbar drunter beschrieben.
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Anmerkungen:
*) Sarkastisch
gemeint:
Moritz von Schwind
muss, wie man an der Abbildung ersieht, Gräfin und Ritter wohl zu deren besten
Zeiten gemalt haben …
**) Moritat
ist eine schaurige
Ballade und das Erzähllied eines Bänkelsängers, der sein Publikum direkt
anspricht und dabei moralische Forderungen einstreut. Handelt der Bänkelsang
von einer Mord- oder Gräueltat, so spricht man von einer Moritat. /nach
Wikipedia/
***) Der
Parodiebegriff
in der
Literaturwissenschaft stimmt weitgehend mit der Definition
überein, die Gerhard Hess (1907-83); Gründungsrektor Uni Konstanz) gab:
"Parodie ist aufzufassen als Schöpfung, die ein anderes Werk, eine
Werkgattung oder eine Stilrichtung nachahmt und dabei in beabsichtigter Weise
Komik und antithematische, d. h. gegen die Vorlage oder deren engeres Umfeld
gerichtete Kritik für denjenigen erkennbar zum Ausdruck bringt, der die Vorlage
kennt und das zur Wahrnehmung einer Parodie erforderliche intellektuelle
Verständnis besitzt.”
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